Thursday, August 26, 2010

NHL-Trends 2 - Immer weniger Europäer

Noch vor 5 Jahren warnte das legendäre „Hockey Night in Canada“-Aushängeschild, Don Cherry – der Christoph Blocher des kanadischen Hockeys – vor einer Ausländerinvasion in der NHL. Es waren die Zeiten in denen Jahr für Jahr mehr Europäer in der „Big League“ Fuss fassten und es waren die Zeiten in denen wir Europäer überzeugt waren, die besseren Ausbildungskonzepte für Eishockeyspieler zu haben als die Nordamerikaner. Den Kanadiern und US-Amerikanern wurden in der Regel technische und läuferische Defizite nachgesagt. Die NHL-Franchises rüsteten ihre Scouting-Teams in Europa auf und dies obwohl Don Cherry die europäischen Spieler pauschalisierend als Weicheier betitelte.



Seit geraumer Zeit hat der Wind gedreht. Es werden kaum mehr Schweizer Spieler für die NHL gedraftet. Dies hat mich dazu bewegt, die Gründe hierfür zu beleuchten. Ja, ich bin der Meinung, dass unser Juniorenhockey stagniert hat in den letzten Jahren. Stagniert auf recht hohem Niveau, allerdings nicht auf einem Niveau das nicht verbessert werden könnte und verbessert werden muss. Es war noch nie die Stärke des Schweizer Eishockeys, gute Einzelspieler zu produzieren. Taktisch kluges Verhalten, disziplinierte defensive Laufwege und das Warten auf die Fehler des Gegners; dies zeichnete unser Hockey in den letzten Jahren vor allem aus. Die rückläufige Anzahl Draftpicks deutet sogar darauf hin, dass wir schlechter geworden sind und diese These wollte ich mit meinen Recherchen untermalen oder relativieren. Bei meinen Recherchen bin ich auf erstaunliche Resultate gestossen. Dies vorneweg: Ja, wir sind „draftmässig“ spürbar schwächer geworden, aber nicht nur wir, es ist ein europäisches Problem mit Ausnahme der Schweden. Doch dazu später mehr. Es wurden in den letzten Jahren sehr deutlich weniger Europäer gedraftet als noch vor 5-10 Jahren!

2005, das Jahr nach dem Lockout, war der Wendepunkt, der Niedergang der europäischen Eishockeyjunioren hat begonnen. Ja, der neue Gesamtarbeitsvertrag hat die Anzahl Draftrunden von neun auf sieben reduziert. Dies die eine aber nur ansatzweise befriedigende Antwort auf weniger europäische Draftpicks.


Hier die Fakten:

In den Jahren 1999-2004 wurden insgesamt 626 Europäer gedraftet. 2005-2010 waren es noch lediglich 322, ein Rückgang von beinahe 50% und dies bei einer Reduktion von 9 auf 7 Runden, was ca. 22% entspricht. Vergleich Schweiz: 1999-2004: 28 Spieler. 2005-2010: 10 Spieler, entspricht einem ungefähren Rückgang von 64%. Die Russen verzeichnen in diesen beiden Zeitspannen einen Rückgang von 90%. Die neu gegründete KHL spielt da sicher eine gewichtige Rolle aber nicht nur. Der Rückgang bei den Finnen beträgt 45%, bei den Slovaken 70% und bei den Tschechen 65%. Die einzige Nation die die Anzahl Draftpicks in der Zeit von 2005 bis 2010 gegenüber der gleichlangen Vorperiode steigern konnte ist Schweden und zwar um stolze 21%. Diese Zahlen sind für mich darum sehr erheblich weil sie nichts mit der Anzahl lizenzierter Spieler und nichts mit der Einwohnerzahl zu tun haben sondern diese Zahlen vergleichen sich mit sich selbst.

 
Konklusion:
Die Schweden dürfen sich auf die Schultern klopfen, währenddessen sich die Finnen harte und die Tschechen, Slovaken und Schweizer sehr harte Fragen stellen sollten. Weil ich in der Schweiz aufgrund meiner Beobachtungen nicht davon ausgehe, dass in den letzten 5 Jahren schlechter gearbeitet wurde – dies im vermuteten Gegensatz zu Nationen wie Tschechien und der Slovakei – muss ein weiterer Grund in der Erstarkung der Nordamerikaner liegen und diese Erstarkung erfolgte vor allem in den USA. Die USA hat in den letzten 5 Jahren ihre NHL-Draftees mehr als verdoppelt im Vergleich zu den Jahren 1999 – 2004! Dies ist ein eindeutiges Resultat und erfolgte unter den erschwerten Bedingungen des um zwei Runden reduzierten Drafts! All diese Zahlen untermauern die subjektiven Beobachtungen, dass in den letzten Jahren die Schweden und die US-Amerikaner unserem Niveau enteilt sind. Die heutige Hierarchie bei den Spielern im Alter zwischen 16 und 24 Jahren lautet für mich:

 
1a) Kanada

1b) USA

3 Schweden


dann ein spürbarer Abstand zu

4 Russland


dann wieder ein spürbarer Abstand zu

5a) Finnland

5b) Tschechien

erneut ein spürbarer Abstand zu
7a Schweiz
7b Slovakei


ein sehr kleiner Abstand zu
9 Deutschland


anschliessend sehr kleine Abstände zu Nationen wie
Dänemark, Weissrussland, Norwegen


Für die Zukunft gibt es tendenzielle Anzeichen, dass die Slovakei hinter die Schweiz zurückfallen könnte. Die Schweiz und Deutschland stagnieren auf dem aktuell achtbaren Niveau. Norwegen und Dänemark rücken auf, Weissrussland wird vermutlich mittelfristig ebenfalls aufrücken, kurzfristig sehe ich aber noch keine diesbezüglichen Anzeichen in Weissrussland ausser, dass mit dem Segen der Regierung viel Geld ins Eishockey investiert wird (Präsident Lukachenko ist ein grosser Eishockeyfan).
 Der nachweisbar dramatische Rückgang der Anzahl europäischer Draftpicks hat in einigen NHL-Organisationen bereits zu einem stark spürbaren Stellenabbau bei den europäischen Scouts geführt. In jedem Sommer werde ich damit konfrontiert, dass dieser und jener Scout keinen neuen Vertrag mehr erhalten hat und dies hat in der Regel weniger mit dem Scout sondern sehr viel mehr mit dem ausgetrockneten Talentmarkt in Europa zu tun. Wenn es in Europa weniger NHL-Talente gibt dann braucht es in Europa weniger NHL-Scouts, so einfach ist diese Rechnung. Ich weiss es daher sehr zu schätzen, dass mein Vertrag - trotz weitgehend ausbleibender Schweizer NHL-Draftpicks - wiederum verlängert wurde. Dies ist unter diesen Umständen (Rückgang der Anzahl Schweizer Draftpicks in den letzten 5 Jahren um 64%!) nicht selbstverständlich. Es gibt auch Stimmen, die das Fehlen eines gesamteuropäischen Transferagreements mit der NHL als Grund für den Rückgang der europäischen Draftpicks sehen. Diese Ansicht teile ich nur sehr bedingt, denn wichtige Länder, u.a. auch die Schweiz, haben dieses „Agreement“ nicht unterschrieben womit vorläufig fest steht, dass man die Rechte an einem gedrafteten Spieler aus der Schweiz nicht nur zwei Jahre – wie im neuen Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen – sondern sehr viel länger behält und die NHL-Clubs zudem auch die vorgesehenen $200'000.— nicht bezahlen müssen. Auf Juniorenstufe sieht es anders aus. Immer mehr Europäer versuchen sich in den nordamerikanischen Juniorenligen. Die russischen Agenten reagieren auf die restriktive Vertragspolitik der KHL mit einem Exodus ihrer Nachwuchstalente. D.h. sie empfehlen ihren 16/17-jährigen Talenten, keinen Profivertrag in der KHL zu unterschreiben weil sie dann auf Jahre hinaus an die KHL gebunden sind. Die Alternative zu einem Profivertrag in der KHL ist ein Wechsel in die kanadische CHL und dieser Weg wird von jungen Russen jüngst wieder häufiger beschritten. Auffallend ist, dass nur sehr wenige Skandinavier den CHL-Weg wählen und dies wiederum öffnet die Tore für andere Nationen wie z.B. die Schweiz und Deutschland. Je 5 Schweizer und Deutsche wurden in diesem Jahr im CHL-Import-Draft gezogen und meines Wissens alle davon folgen diesem Ruf aus Nordamerika. Zu glauben, dass dies in den deutschsprachigen Ländern zu mehr NHL-Draftpicks führen wird wäre aber naiv.
 Zurück zu den USA. Der eindrückliche Anstieg an USA-NHL-Draftpicks ist ein Indiz dafür, dass der Weltmeistertitel 2010 bei den U20-Junioren nur ein erstes Müsterchen von dem ist was aus den USA noch kommen wird. Die Kanadier müssen sich warm anziehen und selbst die sich sensationell verbesserten Schweden werden sich unter diesen Umständen sehr schwer tun, um ihren Anstrengungen mit einem Junioren-Weltmeistertitel die Krone aufsetzen zu können.

Eishockey-Europa hat ein Problem. Kanada war schon immer top und wird immer top bleiben, relativ unabhängig von ihren Ausbildungsprogrammen. Die USA mutiert zur neuen Hockey-Supermacht. Schweden ist aktuell die einzige europäische Nation die sich mehr oder weniger erfolgreich dagegen wehrt, von den beiden Nordamerikanern abgehängt zu werden.






Stallikon, 16. August 2010 / Thomas Roost NHLTrends2wenigerEuroäer.doc

No comments:

Post a Comment