Mit grossem Interesse verfolge ich in den verschiedenen Medien die Debatte einerseits über das Scheitern der Vertragsverhandlungen mit Sean Simpson sowie die Diskussion über geeignete Nachfolger andererseits. Weil ich zu beiden Themen eine dezidiert andere Sichtweise vertrete als die gefühlte Medien-Mehrheitsmeinung, erhebe ich zu diesen Themen meine Stimme:
Sean Simpson:
Sean Simpson ist ein sehr guter Eishockey-Coach, unter ihm hat die Nationalmannschaft den Wandel vom ziemlich erfolgreichen Langweilerteam zum meistens ziemlich erfolgreichen und in einem Fall sogar extrem erfolgreichen Team mit gutem Unterhaltungswert geschafft. Es ist sein Verdienst, dass diese Mannschaft optimistisch und kreativ spielt. Sean Simpson hat in seinem Palmares gute Erfolge vorzuweisen, allen voran der Champions-League-Gewinn mit den ZSC-Lions und die Silbermedaille an der letztjährigen Weltmeisterschaft mit der Schweiz. Jeder ist sein eigener Unternehmer und es versteht sich von selbst, dass Sean Simpson diese Erfolge ausschlachten will. Er ist auf dem Trainermarkt extrem begehrt und dies führt dazu, dass er Forderungen stellen kann und will. Jeder von uns würde in seiner Situation exakt dasselbe tun. Keine Frage: Eine Vertragsverlängerung von Sean Simpson wäre nichts als logisch und sein Abgang ist für Aussenstehende auf den ersten Blick schwierig zu begreifen.
Die Gründe, wieso die Verhandlungen letztlich gescheitert sind kenne ich auch nicht. Aus diesem Grund ist es müssig, mit Schuldzuweisungen um sich zu werfen.
Szenenwechsel zum Schweizer Eishockeyverband mit Marc Furrer an der Spitze:
Marc Furrer sitzt am anderen Ende des Verhandlungstisches und hat die Aufgabe - exakt wie es Sean Simpson berechtigterweise für sich tut – die Interessen des SEHV bestmöglich zu vertreten. Hierzu gehört eine kritische Auslegeordnung des offerierten Angebots. Weil Sean Simpson sehr gute Arbeit geleistet hat geht man beim Gegenangebot in Richtung Limit, man will ja das gute Verhältnis mit dem bisherigen Vertragspartner nicht unnötig strapazieren. Aber es gibt ein Limit und dieses Limit wird selbstverständlich auch durch den Umstand bestimmt, dass Sean Simpson höchstwahrscheinlich nicht der einzige sehr gute Eishockeycoach ist der Schweizer Nationaltrainer sein möchte. Beim Limit meine ich nicht nur Geld sondern auch prinzipielle Ueberlegungen betr. Pflichtenheft, Personalpolitik etc. Als smarter Verhandlungspartner muss Marc Furrer auch ein wenig „Advocatus Diaboli“ spielen wenn es um die Verdienste von Sean Simpson geht. Eine sachliche Betrachtung der Situation zeigt ihm, dass es nicht nur Sean Simpsons Verdienst ist, dass die Schweizer Eishockeynationalmannschaft heute als ernsthafter Aussenseiterkandidat für Weltmeisterschaftsmedaillen gehandelt wird. Sean Simpson hat heute das bessere Spielermaterial zur Verfügung als es Ralph Krüger vor 10 Jahren hatte. Dies ist auch Sean Simpsons Verdienst aber nicht nur. Im Erfolg wie im Misserfolg gibt es immer viele Gründe. Ein wichtiger Grund für die Fortschritte ist sicher, dass in der Technikabteilung des SEHV gut gearbeitet wurde und zwar von Ausbildnern die sich kaum je im Scheinwerferlicht des Medienrummels sonnen können. Und es gibt weitere Gründe für den Aufschwung, nicht zuletzt auch Gründe die im Persönlichkeitsprofil einzelner Spieler liegen. Der langen Worte kurzer Sinn: Marc Furrer MUSS sich überlegen, welchen Anteil Sean Simpson am Aufschwung des Schweizer Eishockeys hat und er muss sich überlegen, was es denn wirklich bedeuten würde, wenn ab nächster Saison ein anderer sehr gut qualifizierter Coach an der Bande stehen würde. Marc Furrer ist ganz bestimmt zum Schluss gekommen, dass die Marktsituation nicht so ist, dass die Schweizer Eishockeynationalmannschaft ohne Sean Simpson zusammenbrechen würde und diese Konklusion führte selbstverständlich dazu, dass sich Marc Furrer bei den Vertragsverhandlungen nicht wie das Kaninchen vor der Schlange hat verstecken müssen. Er hat vermutlich versucht, die Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen und dabei nichts anders getan als das was von ihm verlangt wird: Die Interessen des SEHV bestmöglich zu vertreten.
Aus diesen Gründen kann man gemäss meiner mir vorliegenden Faktenlage weder Sean Simpson noch Marc Furrer einen grossen Vorwurf für das Scheitern der Verhandlungen machen. Beide haben ihre Interessen bestmöglich vertreten und konnten/wollten den letzten Schritt zu einer Kompromisslösung nicht tun. „Fair enough“. Reisende soll man nicht aufhalten. Jetzt wird das nächste Kapitel aufgeschlagen. An dieser Stelle auch von meiner Seite: Ein herzliches Dankeschön an Sean Simpson, seine Spieler und seinen gesamten „Staff“: Ihr habt uns in den letzten 12 Monaten einige magische Hockeymomente beschert!
Die Nachfolge:Weniger als 48 Stunden nach dem verkündeten Abgang von Sean Simpson werden bereits verschiedene Kandidaten gehandelt und dies zeigt: Sean Simpson ist nicht der einzige hoch qualifizierte Eishockeycoach auf diesem Planeten. Einzig den Namen Ralph Krüger habe ich noch nirgendwo gelesen oder irre ich mich? Es gibt Argumente für alle in den Medien aufgetauchten Namen. Auffallend ist – und an dieser Stelle kritisiere ich Marc Furrer – wie unkritisch und schon fast euphorisch die Personalie Arno Del Curto kommentiert wird. Arno Del Curto ist zweifellos ein guter Eishockeycoach. Was ich an ihm mag ist, dass seine Teams meistens ein sehr attraktives Eishockey zeigen. Tempo, Spektakel, dezidiertes Risiko, dies alles führt zu einem in der Regel hohen Unterhaltungswert wenn man die Spiele der Del Curto-Teams verfolgt. Bei einer kritisch/sachlichen Auslegeordnung muss aber auch festgestellt werden, dass die Erfolge Del Curtos tendenziell überbewertet werden. Er hat die Meistertitel mit der Ausnahme im Jahr 2011 immer mit Teams gewonnen die auch auf dem Papier am besten besetzt waren. Im Jahr 2011 gab es allerdings 2-3 Teams die personell mindestens so gut oder besser bestückt waren als der HCD. Für mich ist der Titel 2011 für das Palmares von Arno Del Curto der Wertvollste. In der Regel liefern aber die Teams von Arno Del Curto in etwa die sportlichen Resultate ab die von ihnen erwartet werden dürfen. Zudem ist der HCD in den letzten beiden Jahren jeweils bereits in der ersten Playoff-Runde ausgeschieden und in der laufenden Saison sind sie im Niemandsland der Tabellenmitte zu finden und dies mit einer eher überdurchschnittlichen Mannschaft. Zudem werden die Spielerentwicklungserfolge von Arno Del Curto tendenziell ebenfalls überschätzt. Kein heutiger Schweizer-NHL-Spieler ist von Arno Del Curto massgeblich geschult worden, auch Nino Niederreiter nicht. Im Falle von Jonas Hiller gehören die "Blumen" vermutlich sehr viel mehr dem HCD-Goaliecoach Marcel Kull. Der HCD holt in der Regel Leistungsträger der U20-Nationalmannschaft und es ist nichts als natürlich, dass sich diese früher oder später zu bestandenen NLA-Spielern entwickeln. Dies hat weniger mit der Schule Arno Del Curtos zu tun, dafür sehr viel mehr mit der erwarteten mittelfristigen Leistungsentwicklung von U20-Leistungsträgern. Wenn man die Fortschritte von jüngeren Spielern wie z.B. Sciaroni, Guerra, Steinmann, Stoop, Bürgler, Sieber, Hofmann, Schneeberger, Grossmann, Ramholt sachlich analysiert dann darf man zwar ein solides muss aber auch ein unspektakuläres Resultat konstatieren. Zudem hat Beat Forster in Davos kaum mehr das Rendement aus seiner besten ZSC-Saison erreicht, er hat stagniert. Ich verstehe ganz einfach den „Hype“ um Arno Del Curto nicht. Es gibt viele Argumente, um ihn als guten Eishockeycoach zu würdigen; kaum aber sachliche Argumente, um ihn als „Messias“ der Eishockeytrainergilde zu feiern. Er ist ein solider, guter Hockeycoach der sich sehr gut und unterhaltend inszeniert, der aber mitunter auch die „Contenance“ und den Respekt vor Andersdenkenden verliert; dies sei ihm allerdings verziehen denn es gehören auch sehr positive Seiten zu seinem Persönlichkeitsprofil.
Zurück zu meiner Kritik an Marc Furrer: Es ist aus meiner Sicht ein Fehler wenn der Verbandspräsident Marc Furrer leichtfertig verkündet – gemäss „Blick“ war dem so -, dass er Arno Del Curto sofort holen würde wenn Del Curto ein 100%-Mandat akzeptieren würde. Damit vergibt er sich viel Verhandlungsspielraum und zudem signalisiert er mit dieser Aussage bereits jetzt dem Nachfolger von Sean Simpson, dass er nur zweite Wahl ist. Angezeigt wäre, dass man eine sachliche und unaufgeregte Auslegeordnung vornimmt bei der sicher auch Arno Del Curto ein ernsthafter Kandidat sein sollte. Ein Kandidat der sich ebenfalls einer kritischen Analyse unterwerfen muss, nicht mehr und nicht weniger. Mein Anforderungsprofil an den künftigen Nationaltrainer: Smart, unaufgeregt, solider, pragmatischer Stratege der das Rad nicht neu erfinden will, eine Persönlichkeit die sich nicht wichtiger nimmt als die Spieler und sich klar verständlich machen kann. Jemand der sich situativ mit guter Empathie auf die verschiedenen Charaktere in einem Team einstellen kann, kein „my way or highway“-Typ. Muss er bereits Titel gewonnen haben? Nein, sicher nicht, ein solcher Leistungsausweis wird überschätzt. Titel werden in erster Linie durch gute Mannschaften mit guten Spielern gewonnen und erst in zweiter Linie durch einen einzelnen Coach. Wenn mir jemand einen Coach auftischen kann, der beständig bessere Resultate vorzuweisen hat als es das Spielermaterial erwarten lässt dann wäre er bei mir ein ganz heisser Kandidat. Ich kenne aber keinen, darum kehre ich zum von mir beschriebenen Anforderungsprofil zurück. Wenn man dieses Profil mit den vielen portierten Namen vergleicht dann bleiben zwei bis drei übrig.
Horgen, 4. März 2014 / Thomas Roost
I’ll give you some insights to talentscouting/talentmanagement and sometimes also to my heart & soul. My views are based on more than 20 years experience of NHL-Scouting plus many years Pro-Scouting and consultancy in the Swiss League plus 25 years experience as CHRO. You can follow me on TWITTER @thomasroost and contact me via thomasroost@hotmail.com
Tuesday, March 4, 2014
Saturday, March 1, 2014
My silent Olympia Hockey Truth / Deutsche Version - EnglishVersion after the German one
Die laute, spektakuläre,
boulevardeske Stammtischwahrheit lautet: Torflaute, das ist die demaskierende statistische Wahrheit
über die so genannt weltbesten und weit überschätzten NHL-Skorer wie z.B.
Crosby, Nash, Tavares, Ovechkin, Malkin, Sedin etc. Sie alle haben im
Olympiaturnier entweder kein oder nur ein einziges Tor erzielt. Dasselbe gilt
für die Schweizer. Es hat sich bestätigt, dass sie auf diesem Niveau keine Tore
erzielen können.
Meine persönliche „Hockey-Wahrheit“
lautet wie folgt:
Man darf
die Statistiken eines Olympiaturniers nicht überbewerten weil es keine
wirklichen Statistiken sind, es fehlt schlicht und einfach eine genügende
Anzahl von Spielen, um die Statistiken als ernst zu nehmendes Analysetool
heranziehen zu dürfen. Die oben erwähnten Spieler verdienen tatsächlich das
Prädikat Weltklasse und sie sind nicht überschätzt. Sie beweisen Jahr für Jahr,
dass sie auf höchstem Niveau regelmässig zu den besten Goalskorern der Welt
gehören. Im so genannten „Big Picture“ kann man trotzdem einiges aus dem
Geschehen des Olympiaturniers ablesen: Dieses Turnier hat mehr denn je
bestätigt, dass sich das internationale Eishockey weltweit entwickelt hat. In
der heutigen Eishockeywelt ist es auch für kleinere Länder gut möglich, 30
kompetitive Eishockeyspieler für das Nationalteam zu nominieren; dies sofern
man die Hausaufgaben gemacht hat. Man nehme diese 30 Spieler, verordne ihnen
ein leicht verständliches Defensivkonzept und unterstütze einen solidarischen
Teamgeist. Das Resultat: Sogar die allerbesten Skorer auf dieser Welt werden
grosse Probleme haben, in Turnieren in denen ein einziges Spiel über das
Ueberleben bestimmt, zu skoren. Beinahe alles ist resultatmässig möglich in
solchen Einzelspielen. Dies bedeutet nicht, dass die besten Spieler der grossen
Eishockeynationen nicht besser sind als die guten Spieler der nachfolgenden
kleinen Nationen. Die moderne Trainingslehre ist heute weltweit abrufbar und
dies führt dazu, dass es heute weltweit viele Spieler gibt die Eishockey auf
einem guten Niveau spielen und dieses gute Niveau ist nicht sehr weit vom
besten Niveau entfernt. Das ist die moderne Entwicklung im Männereishockey. Im
Fraueneishockey kann ich diese Entwicklung noch nicht auf demselben Niveau
feststellen obwohl sich auch bei den Frauen das Niveau Schritt für Schritt
anzugleichen beginnt. Für den durchschnittlichen Olympiafan der nur ab und zu
Eishockey konsumiert ist diese Entwicklung etwas enttäuschend denn er kann mit
seinem oberflächlichen Eishockeyknowhow kaum die Niveauunterschiede zwischen
den allerbesten Hockeyspielern und den nächstbesten Spielern erkennen. Diese
Unterschiede zu erkennen wird immer schwieriger und dies ist für den durchschnittlichen
Olympia-Fan alles andere als spektakulär. Wenn Kanada gegen die USA spielt dann
neutralisieren sich die besten Spieler der Welt gegenseitig und nur wahre
Spezialisten der Szene können das unglaublich hohe Niveau unserer grossartigen
Sportart erkennen. Diese normale und gesunde Entwicklung im internationalen
Eishockey kann auch uns als leidenschaftliche Hockeyfans und Berichterstatter in
ihrer Wahrnehmung gefährlich täuschen. Wir wollen Wahrheiten, wir wollen wissen
wer gut und wer schlecht ist und darum lassen wir uns zu oft von Zahlen aus nur
sehr wenigen Spielen leiten; dies ist eine Falle die uns gestellt wird. Wir
schliessen auf Wahrheiten aufgrund der effektiven Resultate in einzelnen
Spielen anstatt, dass wir „Wahrheiten“ suchen aufgrund der wahrscheinlichsten
Resultate. Dies ist sehr anspruchsvoll, bringt uns aber den richtigen
Schlussfolgerungen näher als das Verweisen auf das „nackte Resultat“. Das oft
zitierte Schlagwort „sie haben gewonnen demnach haben sie alles richtig
gemacht“ ist sehr falsch denn auch im Sieg macht man nie alles richtig und auch
in der Niederlage war nie alles falsch. Wenn Sidney Crosby in fünf Spielen
nicht skort neigen wir bereits dazu, ihn als überschätzter Spieler zu
titulieren. Sidney Crosby hat ein gutes Olympiaturnier gespielt und aufgrund
der Fülle der Torchancen die er durch seine Magie kreiert hat war die
Wahrscheinlichkeit, dass er viele Skorerpunkte erzielt sehr hoch. Wir neigen
aber auch in diesem Fall dazu, seine effektive Skorerausbeute zu beurteilen und
zu interpretieren, ein Fehler. Faire Statistiken (Skorerpunkte pro Minute
Eiszeit z.B.) nach einer Saison mit 80 Spielen hingegen sagen sehr viel mehr
aus als subjektive Beobachtungen. Die Aussagekraft von fairen Statistiken wird
oft unterschätzt, Statistiken aus einzelnen kleinen Turnieren werden
überschätzt. Zurück zu Sidney Crosby, er ist alles andere als überschätzt, er
ist der beste Spieler der Welt aber der Unterschied zwischen den besten
Spielern der Welt und der steigenden Masse der nächstbesten Kategorie an
Spielern ist nicht so gross wie der Unterschied zwischen einem 5-Sterne und
einem 2-Sternehotel. Die 5-Sterne-Crosbys messen sich heute viel mehr mit
4-Sterne- oder 4 ½-Sterne-Spielern und dies kann durchaus dazu führen, dass in
einem kleinen Turnier ein 4-Sterne-Spieler deutlich mehr Skorerpunkte aufweist
als ein Superstar. Um bei meiner leisen „Wahrheit“ zu bleiben: Ich konnte den
Unterschied zwischen den allerbesten Spielern und der nächstbesten Kategorie
sehr wohl erkennen aber die Unterschiede sind kleiner geworden und dies alles
führt im modernen Eishockey dazu, dass selbst Lettland an einem Abend in dem
alles für sie läuft (Glück, Schiedsrichter, Topform, heisser Goalie etc. etc.)
die weltbesten Spieler aus Kanada in einem einzelnen Spiel besiegen kann. Fakt
ist auch, dass die heute weltbesten Spieler deutlich besser sind als die
weltbesten Spieler vor 20 oder 40 Jahren. Verstehen Sie mich bitte nicht
falsch: Ich will Legenden wie Gretzky, Lemieux, Orr, Makarov, Krutov, Fetisov,
Larionov usw. nichts von ihrem Glanz wegnehmen, dies wäre extrem unfair und
diese Spieler verdienen meinen grössten Respekt. Aber es ist auch klar, dass
sie mit ihrem Spielniveau im heutigen Eishockey nicht mehr dieselbe dominante
Rolle spielen könnten. Eishockey hat sich entwickelt und dies hat seine Logik:
Es ist deutlich einfacher, den Qualitätslevel von Hockeyspielern von 60/100 auf
90/100 zu erhöhen als einen Spieler von 90/100 auf 95/100 zu verbessern. Im
modernen Hockey haben wir heute deutlich mehr Spieler mit einem Niveau von
90/100 als vor 20 oder 40 Jahren und diese zahlreichen 90/100-Spieler machen
das Leben des vielleicht halben Dutzends 95/100-Stars sehr schwer. So schwer,
dass es schwierig ist, diese Unterschiede zu erkennen. Im Olympiaturnier hat es
gewimmelt von 90/100-Spielern, es gab noch nie ein Eishockeyturnier mit derart
vielen Qualitätsspielern. Ich gebe zu, dass billiges Spektakel auf der Strecke
blieb und dies trug nicht unbedingt dazu bei, dass sich unsere grossartige
Sportart in bisher unbekannten Eishockey-Ländern vorteilhaft präsentieren
konnte. Es war eher ein Turnier für Feinschmecker.
Meine Schweizer „Wahrheit“
Vor ca. 10
Jahren hat sich die Schweizer Eishockeynationalmannschaft zu einem unangenehmen
Widersacher entwickelt, seit ca. 10 Jahren spielt man auch als grosse Nation
nicht sehr gerne gegen die Schweiz weil ein Sieg kein Selbstläufer mehr ist.
Die Schweiz hat dies mit verbesserten und aufopfernd laufenden Spielern
erreicht, zusammen mit gutem Goaltending, einer exzellenten defensiven
Spielstruktur und einem hart arbeitenden Team, speziell in defensiven
Situationen ohne Scheibe. Seit ungefähr 10 Jahren ist es nicht mehr einfach,
gegen die Schweiz Tore zu erzielen. In den letzten zwei bis drei Jahren habe
ich einen weiteren Fortschritt konstatiert. Die Schweiz hat jetzt einige echt talentierte
und hoch entwickelte Verteidiger. Zudem einige Stürmer mit der Fähigkeit, auch
auf höchstem Niveau Torchancen zu kreieren. Es versteht sich von selbst, dass
der Silbermedaillen-Gewinn an der letzten Weltmeisterschaft kein normales, kein
wahrscheinliches Resultat darstellt aber die Schweiz gehört nun zum erlauchten
Kreis der Nationen die bei günstigen Umständen auch auf höchstem Niveau eine
Medaille gewinnen können. Am wichtigsten für mich – und dies ist der jüngste
Fortschritt – die Schweizer können an guten Tagen auf Augenhöhe mit den besten
der Welt mithalten. Die Schweizer kreieren auch gegen Weltklasseteams eine
ähnliche Anzahl von Torchancen und Torschüssen. Die Schweizer müssen sich nicht
mehr nur auf eine hervorragende Defensivorganisation verlassen und zu Gott
beten, dass der Torwart über sich hinaus wächst. Es war interessant, zu
beobachten, ob sich dieser Trend auch an den olympischen Spielen bestätigt und
ja, dieser Trend hat sich bestätigt.
Die laute, spektakuläre,
boulevardeske Stammtischwahrheit lautet:
Die
Weltmeisterschafts-Silbermedaille war nur eine Fata Morgana, das Schweizer
Eishockey wird überschätzt. Das Olympia-Turnier hat gezeigt, dass die Schweizer
auf diesem Niveau keine Tore erzielen können und selbst gegen das sehr
bescheidene Lettland haben sie verloren.
Zurückkommend auf meine Schweizer
„Wahrheit“:
Die Schweiz
hat an diesem Olympiaturnier ihre Fortschritte bestätigt und dies hinsichtlich
der meisten zu beobachtenden Aspekte. Die Schweiz hat Lettland in beiden
Spielen leicht dominiert und dies mit deutlich mehr Torschüssen. Die Schweiz
spielte sehr gut gegen Schweden und war nur unwesentlich unterlegen, dies
untermauert auch die Schuss-Statistik (26-31). Auch das Spiel gegen Tschechien
war gut und ausgeglichen (26-26 Schüsse), allerdings muss man anerkennen, dass
der Sieg letztlich etwas glücklich ausgefallen ist. Aufgrund von einigen eher
unglücklichen Szenen im 1/8-Final-Spiel gegen Lettland ist die Schweiz früh
ausgeschieden. In der Hockey-Fachsprache nennt man dies „some unlucky bounces“.
Ja, die Schweiz hat (zu) wenige Tore erzielt aber dies war bereits vor dem
Turnier zu erwarten denn die Konkurrenz war schlicht und einfach Weltklasse und
der jetzige Aufschrei über die fehlende Torproduktion erstaunt mich. Wenn
Spieler wie Crosby, Tavares, Toews, Getzlaf, Nash, St.Louis, Perry, Marleau,
Ovechkin, Malkin, Sedin und Kane zusammengezählt lediglich 3 (drei!) Tore
zustande bringen (Stand vor dem Goldmedaillenspiel) dann ist es eher eigenartig
wenn wir von unseren „No-Name-Stürmern“ eine hohe Torproduktion fordern. „Low
Scoring Games“ gehören ebenfalls zum modernen und hochklassigen Eishockey. Es
war klar, dass die Schweizer Torproduktion anlässlich der letzten
Weltsmeisterschaft nicht der Wahrscheinlichkeitsberechnung entsprochen hat.
Positiv ist aber, dass die lediglich 3 erzielten Tore an diesem Olympiaturnier
auch nicht der Wahrscheinlichkeitsberechnung entsprochen haben. Gemessen an den
Spielanteilen und den Torchancen wären sechs erzielte Tore eher normal gewesen.
Ja, mir hat die Olympiavorstellung der Schweizer Eishockeynationalmannschaft
gut gefallen. Die Goalies waren gut, die Schweizer hatten noch nie derart gute
Verteidiger und mit Roman Josi sogar einen Weltklassemann. Die Stürmer haben
sich hinsichtlich Skills ebenfalls verbessert und können jetzt immer mal wieder
Torchancen kreieren. Was fehlt noch zur absoluten Weltklasse? Die
durchschnittliche Schussqualität ist klar noch nicht auf dem Level der
Weltbesten wie auch die Breite, die Tiefe hinsichtlich Stürmer mit genügenden
Skills. Im Sturm sind die besten Nationen auf alle Linien verteilt noch spürbar
besser besetzt. Aber die Schweizer haben den nächsten Schritt bestätigt und an
Weltmeisterschaften ist mit den Schweizern als Aussenseiterkandidat für
Medaillen definitiv zu rechnen. Nicht zu vergessen: Die anderen „kleinen“
Nationen haben sich ebenfalls verbessert. Wenn ich sage, dass die Schweiz an
einem guten Tag alle besiegen kann dann muss ich im gleichen Atemzug erwähnen,
dass Niederlagen gegen Lettland, Deutschland, Norwegen usw. ebenfalls mindestens noch immer so
wahrscheinlich sind wie Siege gegen die Grossen. Noch einmal: Dieses
Zusammenrücken des Niveaus ist Teil der internationalen Entwicklung im
Eishockey.
An alle Experten:
Es ist
heute schwieriger denn je, richtige Resultatvorhersagen an einem olympischen Männer-Eishockeyturnier
zu tätigen und extrem gefährlich, „Weisheiten“ aus einem derart kurzen Turnier
abzuleiten. Es führt auf die falsche Spur wenn wir jetzt die Russen einseitig
knebeln und die Kanadier loben. Gibt es einen einzigen Eishockeyexperten unter
uns der vorhergesagt hat, dass Crosby, Toews, Getzlaf, Tavares, St.Louis,
Malkin, Ovechkin, Sedin, Perry, Kane und Marleau zusammengezählt nur auf drei Tore kommen vor dem Goldmedaillenspiel?
Die Welt ist viel komplizierter als wir uns dies wünschen. Wir sind durstig
nach „Wahrheiten“ und immer auf der Suche nach dem Richtig und dem Falsch im
Leben und im Eishockey. Wir müssen aber demütig akzeptieren, dass auch Experten
nicht sehr viel über die Welt wissen und auch nicht über das Richtig und Falsch
im Eishockey. Es gibt sehr viel mehr Fragezeichen als Antworten und wenn jemand
das Gegenteil behauptet dann ist er vermutlich kein Experte... ;-)
Starkes,
subjektives Ueberzeugtsein ist kein zuverlässiger Indikator für die Richtigkeit
– eine schwache Ueberzeugung ist oft informativer.
Das
Goldmedaillenspiel war exzellent, ganz grosses Kino! ... oder ist auch dies
„nur“ ein starkes, subjektives Ueberzeugtsein? ;-)
Thomas
Roost, 1. März 2014
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