Mit grossem Interesse verfolge ich in den verschiedenen Medien die Debatte einerseits über das Scheitern der Vertragsverhandlungen mit Sean Simpson sowie die Diskussion über geeignete Nachfolger andererseits. Weil ich zu beiden Themen eine dezidiert andere Sichtweise vertrete als die gefühlte Medien-Mehrheitsmeinung, erhebe ich zu diesen Themen meine Stimme:
Sean Simpson:
Sean Simpson ist ein sehr guter Eishockey-Coach, unter ihm hat die Nationalmannschaft den Wandel vom ziemlich erfolgreichen Langweilerteam zum meistens ziemlich erfolgreichen und in einem Fall sogar extrem erfolgreichen Team mit gutem Unterhaltungswert geschafft. Es ist sein Verdienst, dass diese Mannschaft optimistisch und kreativ spielt. Sean Simpson hat in seinem Palmares gute Erfolge vorzuweisen, allen voran der Champions-League-Gewinn mit den ZSC-Lions und die Silbermedaille an der letztjährigen Weltmeisterschaft mit der Schweiz. Jeder ist sein eigener Unternehmer und es versteht sich von selbst, dass Sean Simpson diese Erfolge ausschlachten will. Er ist auf dem Trainermarkt extrem begehrt und dies führt dazu, dass er Forderungen stellen kann und will. Jeder von uns würde in seiner Situation exakt dasselbe tun. Keine Frage: Eine Vertragsverlängerung von Sean Simpson wäre nichts als logisch und sein Abgang ist für Aussenstehende auf den ersten Blick schwierig zu begreifen.
Die Gründe, wieso die Verhandlungen letztlich gescheitert sind kenne ich auch nicht. Aus diesem Grund ist es müssig, mit Schuldzuweisungen um sich zu werfen.
Szenenwechsel zum Schweizer Eishockeyverband mit Marc Furrer an der Spitze:
Marc Furrer sitzt am anderen Ende des Verhandlungstisches und hat die Aufgabe - exakt wie es Sean Simpson berechtigterweise für sich tut – die Interessen des SEHV bestmöglich zu vertreten. Hierzu gehört eine kritische Auslegeordnung des offerierten Angebots. Weil Sean Simpson sehr gute Arbeit geleistet hat geht man beim Gegenangebot in Richtung Limit, man will ja das gute Verhältnis mit dem bisherigen Vertragspartner nicht unnötig strapazieren. Aber es gibt ein Limit und dieses Limit wird selbstverständlich auch durch den Umstand bestimmt, dass Sean Simpson höchstwahrscheinlich nicht der einzige sehr gute Eishockeycoach ist der Schweizer Nationaltrainer sein möchte. Beim Limit meine ich nicht nur Geld sondern auch prinzipielle Ueberlegungen betr. Pflichtenheft, Personalpolitik etc. Als smarter Verhandlungspartner muss Marc Furrer auch ein wenig „Advocatus Diaboli“ spielen wenn es um die Verdienste von Sean Simpson geht. Eine sachliche Betrachtung der Situation zeigt ihm, dass es nicht nur Sean Simpsons Verdienst ist, dass die Schweizer Eishockeynationalmannschaft heute als ernsthafter Aussenseiterkandidat für Weltmeisterschaftsmedaillen gehandelt wird. Sean Simpson hat heute das bessere Spielermaterial zur Verfügung als es Ralph Krüger vor 10 Jahren hatte. Dies ist auch Sean Simpsons Verdienst aber nicht nur. Im Erfolg wie im Misserfolg gibt es immer viele Gründe. Ein wichtiger Grund für die Fortschritte ist sicher, dass in der Technikabteilung des SEHV gut gearbeitet wurde und zwar von Ausbildnern die sich kaum je im Scheinwerferlicht des Medienrummels sonnen können. Und es gibt weitere Gründe für den Aufschwung, nicht zuletzt auch Gründe die im Persönlichkeitsprofil einzelner Spieler liegen. Der langen Worte kurzer Sinn: Marc Furrer MUSS sich überlegen, welchen Anteil Sean Simpson am Aufschwung des Schweizer Eishockeys hat und er muss sich überlegen, was es denn wirklich bedeuten würde, wenn ab nächster Saison ein anderer sehr gut qualifizierter Coach an der Bande stehen würde. Marc Furrer ist ganz bestimmt zum Schluss gekommen, dass die Marktsituation nicht so ist, dass die Schweizer Eishockeynationalmannschaft ohne Sean Simpson zusammenbrechen würde und diese Konklusion führte selbstverständlich dazu, dass sich Marc Furrer bei den Vertragsverhandlungen nicht wie das Kaninchen vor der Schlange hat verstecken müssen. Er hat vermutlich versucht, die Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen und dabei nichts anders getan als das was von ihm verlangt wird: Die Interessen des SEHV bestmöglich zu vertreten.
Aus diesen Gründen kann man gemäss meiner mir vorliegenden Faktenlage weder Sean Simpson noch Marc Furrer einen grossen Vorwurf für das Scheitern der Verhandlungen machen. Beide haben ihre Interessen bestmöglich vertreten und konnten/wollten den letzten Schritt zu einer Kompromisslösung nicht tun. „Fair enough“. Reisende soll man nicht aufhalten. Jetzt wird das nächste Kapitel aufgeschlagen. An dieser Stelle auch von meiner Seite: Ein herzliches Dankeschön an Sean Simpson, seine Spieler und seinen gesamten „Staff“: Ihr habt uns in den letzten 12 Monaten einige magische Hockeymomente beschert!
Die Nachfolge:Weniger als 48 Stunden nach dem verkündeten Abgang von Sean Simpson werden bereits verschiedene Kandidaten gehandelt und dies zeigt: Sean Simpson ist nicht der einzige hoch qualifizierte Eishockeycoach auf diesem Planeten. Einzig den Namen Ralph Krüger habe ich noch nirgendwo gelesen oder irre ich mich? Es gibt Argumente für alle in den Medien aufgetauchten Namen. Auffallend ist – und an dieser Stelle kritisiere ich Marc Furrer – wie unkritisch und schon fast euphorisch die Personalie Arno Del Curto kommentiert wird. Arno Del Curto ist zweifellos ein guter Eishockeycoach. Was ich an ihm mag ist, dass seine Teams meistens ein sehr attraktives Eishockey zeigen. Tempo, Spektakel, dezidiertes Risiko, dies alles führt zu einem in der Regel hohen Unterhaltungswert wenn man die Spiele der Del Curto-Teams verfolgt. Bei einer kritisch/sachlichen Auslegeordnung muss aber auch festgestellt werden, dass die Erfolge Del Curtos tendenziell überbewertet werden. Er hat die Meistertitel mit der Ausnahme im Jahr 2011 immer mit Teams gewonnen die auch auf dem Papier am besten besetzt waren. Im Jahr 2011 gab es allerdings 2-3 Teams die personell mindestens so gut oder besser bestückt waren als der HCD. Für mich ist der Titel 2011 für das Palmares von Arno Del Curto der Wertvollste. In der Regel liefern aber die Teams von Arno Del Curto in etwa die sportlichen Resultate ab die von ihnen erwartet werden dürfen. Zudem ist der HCD in den letzten beiden Jahren jeweils bereits in der ersten Playoff-Runde ausgeschieden und in der laufenden Saison sind sie im Niemandsland der Tabellenmitte zu finden und dies mit einer eher überdurchschnittlichen Mannschaft. Zudem werden die Spielerentwicklungserfolge von Arno Del Curto tendenziell ebenfalls überschätzt. Kein heutiger Schweizer-NHL-Spieler ist von Arno Del Curto massgeblich geschult worden, auch Nino Niederreiter nicht. Im Falle von Jonas Hiller gehören die "Blumen" vermutlich sehr viel mehr dem HCD-Goaliecoach Marcel Kull. Der HCD holt in der Regel Leistungsträger der U20-Nationalmannschaft und es ist nichts als natürlich, dass sich diese früher oder später zu bestandenen NLA-Spielern entwickeln. Dies hat weniger mit der Schule Arno Del Curtos zu tun, dafür sehr viel mehr mit der erwarteten mittelfristigen Leistungsentwicklung von U20-Leistungsträgern. Wenn man die Fortschritte von jüngeren Spielern wie z.B. Sciaroni, Guerra, Steinmann, Stoop, Bürgler, Sieber, Hofmann, Schneeberger, Grossmann, Ramholt sachlich analysiert dann darf man zwar ein solides muss aber auch ein unspektakuläres Resultat konstatieren. Zudem hat Beat Forster in Davos kaum mehr das Rendement aus seiner besten ZSC-Saison erreicht, er hat stagniert. Ich verstehe ganz einfach den „Hype“ um Arno Del Curto nicht. Es gibt viele Argumente, um ihn als guten Eishockeycoach zu würdigen; kaum aber sachliche Argumente, um ihn als „Messias“ der Eishockeytrainergilde zu feiern. Er ist ein solider, guter Hockeycoach der sich sehr gut und unterhaltend inszeniert, der aber mitunter auch die „Contenance“ und den Respekt vor Andersdenkenden verliert; dies sei ihm allerdings verziehen denn es gehören auch sehr positive Seiten zu seinem Persönlichkeitsprofil.
Zurück zu meiner Kritik an Marc Furrer: Es ist aus meiner Sicht ein Fehler wenn der Verbandspräsident Marc Furrer leichtfertig verkündet – gemäss „Blick“ war dem so -, dass er Arno Del Curto sofort holen würde wenn Del Curto ein 100%-Mandat akzeptieren würde. Damit vergibt er sich viel Verhandlungsspielraum und zudem signalisiert er mit dieser Aussage bereits jetzt dem Nachfolger von Sean Simpson, dass er nur zweite Wahl ist. Angezeigt wäre, dass man eine sachliche und unaufgeregte Auslegeordnung vornimmt bei der sicher auch Arno Del Curto ein ernsthafter Kandidat sein sollte. Ein Kandidat der sich ebenfalls einer kritischen Analyse unterwerfen muss, nicht mehr und nicht weniger. Mein Anforderungsprofil an den künftigen Nationaltrainer: Smart, unaufgeregt, solider, pragmatischer Stratege der das Rad nicht neu erfinden will, eine Persönlichkeit die sich nicht wichtiger nimmt als die Spieler und sich klar verständlich machen kann. Jemand der sich situativ mit guter Empathie auf die verschiedenen Charaktere in einem Team einstellen kann, kein „my way or highway“-Typ. Muss er bereits Titel gewonnen haben? Nein, sicher nicht, ein solcher Leistungsausweis wird überschätzt. Titel werden in erster Linie durch gute Mannschaften mit guten Spielern gewonnen und erst in zweiter Linie durch einen einzelnen Coach. Wenn mir jemand einen Coach auftischen kann, der beständig bessere Resultate vorzuweisen hat als es das Spielermaterial erwarten lässt dann wäre er bei mir ein ganz heisser Kandidat. Ich kenne aber keinen, darum kehre ich zum von mir beschriebenen Anforderungsprofil zurück. Wenn man dieses Profil mit den vielen portierten Namen vergleicht dann bleiben zwei bis drei übrig.
Horgen, 4. März 2014 / Thomas Roost
ciao thomas, interessant wie immer. Zu Simpson da wir die Hintergründe nicht kennen, schwierig zu beuurteilen, aber die Resultate sprechen für ihn, bin mir fast sicher er hätte weiterhin erfolgreich gearbeitet. Zu Krüger, er hat ja bei Sunderland unterschrieben, weiss aber nicht für wie lange. Del Curto lässt sicherlich nicht den HCD fallen, glaube auch dass er mit dem HCD erst gewonnen hat als er Riesen und Von Arx geholt hat, in der Lockout-Season mit Nash und Co. hätten auch wir zwei an der Bande den Titel geholt. In der Deutschschweizer Presse wird vor allem von Del Curto gesprochen die Welsche gibt Bykov in Pole-Position (nicht gerade der billigste) in der Tessiner Presse geisterte der Name von Huras (der aber wohl in die EBEL wechseln wird) herum. Ich würde jemanden holen der die Arbeit von Simpson weiterführen kann, es kommen ja junge interessante Spieler nach, let's wait and see.
ReplyDeleteDanke, Maurizio. Ja, ja... ich kenne die Situation mit Krüger... aber er hat ja da bei Sunderland nicht gerade DIE Schlüsselposition die eine Verpflichtung ultimativ verunmöglichen würde. Ich bin überzeugt, dass wenn ein NHL-Team ihn als Headcoach anfragt, dann würde Krüger einen Weg finden, sein interessantes und ungewöhnliches Mandat bei Sunderland zu annullieren. Ich teile deine Meinung zu Simpson.
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