Im Misserfolg stellt man
sehr schnell die Forderung nach „neuen Besen“. Ein neuer Trainer, neue, junge
Spieler, neue Ausländer, ein neues Spielsystem, eine neue Trainingsmethodik, ein
Psychologe, ein Motivator und so weiter und so fort... ganz einfach alles
anders als es bisher war. Wenn der bisherige Trainer ruhig und sachlich war
dann will man künftig einen kommunikativen Lautsprecher mit Emotionen oder
umgekehrt. Wenn die ungenügenden Ausländer Skandinavier waren dann will man
jetzt Nordamerikaner oder umgekehrt. Hat man Spiele verloren in denen die
technisch versierten Spieler zu wenig Kriegermentalität gezeigt haben dann
sucht man so genannte „Blue Collar“-Spieler die vor allem kämpfen können und
wenn man mit ebendiesen Kämpfern Misserfolg hatte dann ist man auf der Suche
nach mehr Talent. Die Gefahr bei diesen Analysen ist das Festhalten an zum Teil
skurrilen „Weisheiten“ die keine sind. Wenn ein Team Erfolg hat lese ich oft
„alles richtig gemacht“ und umgekehrt. Dies ist nur ein Beispiel dieser
skurrilen Weisheiten die sich im europäischen Profisport vielerorts hartnäckig
behaupten. Selbstverständlich macht man auch im Erfolg nicht alles richtig und
im Misserfolg nicht alles falsch. Es ist auch falsch zu glauben, dass ein
Trainerwechsel mehr Erfolg bringen wird wenn es nicht gut läuft. Hierzu gibt es
mittlerweile verschiedene Studienresultate die das Gegenteil beweisen. Bei
Trainerwechseln tappt man in die Falle des so genannten „Regression zur Mitte
Effekts“. Die Erklärung: Ein Trainerwechsel erfolgt meistens wenn das Team
Resultate einfährt die unter den realistischen Erwartungen liegen. Man wechselt
dann den Trainer und stellt nachher fest, dass die Resultate jetzt tatsächlich
besser sind, klopft sich auf die Schulter und glaubt, dass man mit dem
Trainerwechsel richtig gehandelt hat. Falsch. Im Verlaufe einer Saison gibt es
Phasen in denen ein Team über den Erwartungen spielt, Phasen die den
Erwartungen entsprechen und Phasen in denen man unter den Erwartungen bleibt.
Dies sind normale Schwankungen. Es ist wahrscheinlich, dass nach einer Phase
der nicht erfüllten Erwartungen eine Phase der erfüllten oder der übererfüllten
Erwartungen folgt. Dies hat rein gar nichts mit einem Trainerwechsel zu tun. Diese
Weisheit lässt sich auch auf andere Situationen im Leben übertragen. Z.B. die
erfolgreichste Aktie der letzten drei Jahre wird kaum mehr die erfolgreichste
der nächsten drei Jahre sein. Oder: Sie erleben in ihrem Wohnort einen
Kälterekord. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird die Temperatur in den
folgenden Tagen ansteigen – in Richtung des monatlichen Mittelwerts. Dies nennt
man den „Regression zur Mitte-Effekt“. Bitte überprüfen Sie diesen Gedanken bevor
sie ihn voreilig begraben.
Dasselbe wenn man über
Spielsysteme diskutiert. Im Misserfolgsfall wechselt man sehr oft das
Spielsystem und auch hier gilt es, den „Regression zur Mitte-Effekt“ zu beachten.
Wir müssen uns darauf einigen, dass es die „beste“ Art Eishockey zu spielen
nicht gibt. Es gibt auch diesbezüglich keine einfachen Antworten. Wenn es so
einfach wäre, dann würden alle Teams mit ein und demselben System spielen.
Jedes Spielsystem, jeder Trainer, jeder Spieler und jede Trainingsmethodik
haben Vor- und Nachteile, das ist die unspektakuläre aber sachlich vermutlich
einzige Wahrheit. Gute Trainer haben ein intuitives Verständnis für eine
massgeschneiderte Strategie für den jeweiligen Moment, nicht mehr und nicht
weniger und – ganz wichtig – diese Momente lassen sich nicht transferieren in
die Zukunft. D.h. die situativ richtige Strategie in einer ganz bestimmten
Spielentwicklung ist vermutlich nicht die richtige Strategie in einer künftig
ähnlichen Situation. Diese Erkenntnisse sind frustrierend für uns Suchende, die
Wahrheiten, die Siegesrezepte finden wollen.
Bei der sachlichen Analyse
müssen wir auch anerkennen, dass Eishockey zu ca. 40% von Zufällen und
Seltenheiten definiert wird. Zufall, Glück und kuriose Umstände bestimmen das
Geschehen auf dem Eishockeyrink ziemlich stark. Anders als z.B. im Basketball –
trägt die Seltenheit von Toren viel dazu bei. 40% ist Zufall und im europäischen
Profimannschaftssport beeinflusst zu 50% das Budget den Erfolg weil wir in
unseren Breitengraden keine „Salary Caps“ kennen. 10% können wir selbst mit
Sportkompetenz, mit Innovation und professionellen Analysen beeinflussen und
mit diesen 10% gilt es sich zu beschäftigen falls das wirtschaftliche Potenzial
bereits ausgereizt ist. Interessanterweise sind oft Verzweiflung,
Bedeutungslosigkeit und finanzielle Engpässe der beste Nährboden für Innovation.
Die grossen analytischen Durchbrüche müssen wir nicht bei Manchester United,
Bayern München, Barcelona, dem SC Bern, den ZSC Lions oder dem HC Lugano
suchen. Diese Clubs sind erfolgreich weil sie das Wichtigste zur Genüge haben
was man mangels „Salarycap“ im europäischen Profimannschaftssport haben muss:
Geld. Innovationen werden wir dort kaum finden, sportliche Kompetenz und
Innovationsfreudigkeit ist bei diesen Clubs weniger wichtig als bei Clubs mit
bescheidenen Budgets weil sie Fehler schnell und ziemlich schmerzlos mit Geld
korrigieren können. Die grössten Innovationen in der Profisportgeschichte
kommen immer von „Underdog-Teams“ wie z.B. den Oakland Athletics im Baseball
und jüngst, im Premier League Fussball, von Wigan. Oakland und Wigan gehören
beständig zu den budgetschwächsten Teams in ihren Ligen und trotzdem hat sich
Oakland immer wieder für die Playoffs qualifiziert und Wigan konnte sich viele
Jahre mit einem unglaublichen Minibudget in der Premier League halten. Wir
müssen diese Erfolgsbeispiele untersuchen und daraus lernen. Es bringt
vermutlich sehr viel weniger wenn wir die Strukturmodelle der
ZSC-Lions-Pyramide oder die Fussballschule des FC Barcelona untersuchen. Diese
Modelle funktionieren vor allem dank viel Geld.
Nur mit innovativen Ideen,
unorthodoxen Experimenten und kreativen Ansätzen können budgetschwache Teams
langfristig überleben und am Anfang dieser Ideen steht ein solides
sportanalytisches Fundament. Von Stammtischweisheiten die keine sind müssen wir
uns verabschieden. In diesem Sinne bin ich sehr für neue Besen, nicht aber
zwingend für neue Spielsysteme, Trainer und Ausländer sondern für neue Ideen.
Niemand wird eine einzige,
allgemein gültige Siegesformel aus dem Hut zaubern. Das Eishockey wird sich mit
Hilfe von vielen kleinen Erkenntnissen von höchst unterschiedlichen Personen
schrittweise weiterentwickeln. Für budgetschwache Teams gilt es, mehrere dieser
kleinen Erkenntnisse früher zu entdecken als die Konkurrenz. Dieser steinige
Weg führt nicht zu kurzfristig spektakulären Ergebnissen sondern langfristig zu
nachhaltig kleinen und manchmal fast unscheinbaren Resultaten. In der Summe
provoziert dies dann aber den ersehnten, stabilen Schritt nach vorne.
Budgetschwache Teams müssen ständig auf der Suche nach vielen kleinen neuen
Besen sein. Hierzu gehört auch der Mut, sich zu blamieren. Nur mit innovativen
Experimenten kann man den gesuchten „Lotto-Sechser“ provozieren und diesen gilt
es anzustreben.
Horgen, 1. September 2014 /
Thomas Roost
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