Die Schweiz hat bisher gut
performt an dieser WM. Rational analysiert sind für mich die souveränen Siege
gegen Norwegen und Weissrussland sowie vor allem der Punktegewinn gegen
Finnland die wertvollsten Resultate. Emotional ist mir der Sieg gegen Kanada am
meisten eingefahren, ein grossartiges Ereignis. Die Schweiz steht hochverdient
im Viertelfinale und hat jetzt wieder einmal die Chance, resultatmässig über
sich hinaus zu wachsen. Hierzu benötigen wir einen Sieg über Schweden. Dies ist
zwar realistisch gesehen unwahrscheinlich aber durchaus möglich. Hierzu müssen
wir uns vor Augen halten, dass selbst in einer Best of 7-Serie im Playoff die
bessere Mannschaft nur in ca. 2/3 der Fälle die Serie gewinnt. Der “Underdog”
hat immer eine Chance und gegen Schweden hoffe ich, dass wir das Spiel so lange
wie möglich offen gestalten können, so dass beim Favoriten gegen Ende des Spiels vielleicht die Hände zu
zittern beginnen. Dies ist kein unmögliches Szenario weil unser Team einerseits
viel Qualität gezeigt hat und sich andererseits die Schweden trotz chronischer Dominanz schwer tun mit dem
Toreschiessen. Sie sind extrem Playmaker-heavy ausgerichtet und es fehlen die
klassischen Scorer. Somit ist es wahrscheinlich, dass uns die Schweden zwar
dominieren werden, aber das Score vielleicht bis tief ins dritte Drittel sehr
knapp sein wird. Ok, dies sind optimistische Betrachtungen. Realistisch
beurteilt müssen wir anerkennen, dass die Schweden hervorragend besetzt sind.
Vor allem in der Defense sind Weltklassespieler am Werk: Viktor Hedman, einer
der allerbesten Verteidiger der Welt, hinzu kommen mit Oliver Ekman-Larsson und
John Klingberg zwei High-End Offensivverteidiger. Auch Jungstars finden sich im
schwedischen Team. Die Stärken liegen im so genannten Possession-Game, dieses
schwedische Team versteht es extrem gut, die Scheibe in den eigenen Reihen zu
halten, hierzu hilft auch die Stärke im Face-Off-Circle. Das Duo
Bäckström/Nylander scheint sehr gut zu harmonieren und wird höchste
Aufmerksamkeit abverlangen.
Zum nächsten Schritt: Unser
Team hat bewiesen, dass es auch gegen grosse Gegner mithalten kann, wie gesagt,
der Punktgewinn gegen Finnland hat mich am meisten beeindruckt denn dies war –
im Gegesatz zu den Kanada- und Tschechien-Spielen – ein Schlüsselspiel für den
Gegner, Finnland musste gegen uns punkten und Erfolgserlebnisse in solchen
Spielen waren für die Schweiz in den letzten Jahren extrem rar; sprich Siege
und/oder Punktgewinne gegen die Grossen in denen es bei den Grossen um viel
geht. Eine Chance für den nächsten Schritt präsentiert sich nun im
Viertelfinale gegen Schweden. Wenn der Schweiz der Sieg gelingt; dies wäre ein
resultatmässiger Meilenstein, ein Sieg bei dem wir einen Grossen nach Hause
schicken. Zurück zur Realität: Die Schweden sind klarer Favorit, sie haben die
besseren Einzelspieler, gar keine Frage… Mit Lundqvist, Hedman und Bäckström
finden sich erfahrene Weltklassespieler im schwedischen Team, aber mit etwas
Puck-Luck und der Leichtigkeit des Seins, mit dem positiven Turnier-Momentum
ist eine Ueberraschung zwar nicht wahrscheinlich aber doch immerhin möglich.
Auch bei Schweden möchte ich
in der Folge Jungstars vorstellen die bei uns teilweise noch nicht so bekannt
sind, aber in diesem schwedischen WM-Team bereits eine Schlüsselrolle
einnehmen:
Jonas Brodin ist ein mobiler Zweiwegverteidiger mit gutem
Spielverständnis und einem guten ersten Pass. Meistens trifft er die richtigen
Entscheidungen und dank seines sehr guten Skatings ist er nur schwer in
Eins-gegen-Eins-Battles zu bezwingen. Er spielt nicht sehr auffällig,
produziert nur wenige Fehler und nutzt einen aktiven “defensiven” Stock im
Spiel ohne Scheibe. Brodin bleibt meistens ruhig und gelassen und dies auch
unter Druck. Ein smarter Spieler mit hoher Spielintelligenz.
Jonas Brodin |
John Klingberg war einer der NHL-Aufsteiger in der Saison
15/16. In dieser Saison hatte er mitunter etwas Schwierigkeiten und zeigte sich
zu fehleranfällig. Klingberg ist ein Offensivverteidiger der hohe Risiken nimmt.
So wie er tanzt kaum ein anderer Verteidiger an der blauen Linie. Klingberg ist
mit der Scheibe extrem geduldig und steuert als Quarterback das Powerplay. Auch
seine Schussqualität ist überdurchschnittlich.
Joel Eriksson Ek ist ein kräftiger Zweiwegcenter mit einem sehr
guten Schuss. Seine Spielweise erinnert ein wenig an Brandon Saad von den
Columbus Blue Jackets. Er verfügt über sehr guten Hockeysense und scheut das
physische Spiel nicht. Sein so genannter “Net-Drive” ist ebenfalls positiv
auffällig, sein Stil ist nordamerikanisch geprägt. Im Skating sollte er noch
etwas an Explosivität zulegen.
Auch Elias Lindholm ist ein sehr smarter Spielmacher der Center aber
auch Flügel spielen kann. Seine Spielübersicht und seine Handskills sind
überdurchschnittlich. Noch immer wartet er auf den definitiven Durchbruch zum
NHL-Star, in der zweiten Saisonhälfte hat er aber angedeutet, zu was er fähig
ist… er buchte vom Januar bis zum Saisonende beinahe einen Scorerpunkt pro
Spiel. Manchmal ist er zu verspielt und er sollte die Schussoption öfter
wählen.
Willie Nylander ist ein klassischer so genannter
“Ticket-Seller”, wenn ich ihn spielen sehe ist es immer wahrscheinlich, dass er
mich vom Sitz reisst. Er ist das pure Gegenteil eines “Fadiseurs” (Mensch mit
dem Charme einer Zentralheizung). Nylander ist spektakulär und dies auf
höchstem Niveau. Er kann auf engstem Raum zaubern, seine Handskills sind
ähnlich aussergewöhnlich wie diejenigen seines Vaters. Zudem versteht er es
ausgezeichnet, seine Absichten zu verstecken, er beherrscht klitzekleine,
blitzschnelle Körpertäuschungen die den Gegner ins Leere laufen lassen.
Nylander ist kreativ, innovativ, ein exzellenter Spielmacher mit guter
Passqualität und guter Spielübersicht. Im Skating besticht er durch seinen
seidenweichen Stil und seine Explosivität. Zudem kann er die Gänge blitzschnell
wechseln. Sein Skating ist um Welten besser als dasjenige seines Vaters… Mit
der Scheibe zeigt er grosse Geduld, mitunter ist er aber etwas zu verspielt und
die grundsätzlich positive Geduld übersteigert sich zur Feststellung, dass er
die Scheibe manchmal zu lange hält. Auch im Spiel ohne Scheibe und im
physischen Teil des Spiels hat er noch Entwicklungspotenzial. Wie an anderer
Stelle bereits erwähnt, scheint sich zwischen Nylander und Bäckström eine
positive Chemie abzuzeichnen, definitiv ein spektakuläres Duo.
Horgen, 17. Mai 2017 / T. Roost SchwedenWC0517.docx