Saturday, May 16, 2015

Meine dreiteilige WM-Analyse / Teil 2

Meine Analyse ist dreiteilig und wird in folgende Themenblöcke gegliedert:

1. Die Schweiz (ab 15.05.15) Zu diesem Teil, Teil 1, bitte nach unten scrollen
2. Was ist aus Schweizer Sicht zu tun? (ab 16.05.15)
3. Die WM und die internationale Eishockeyhierarchie (ab 17.05.15)


Heute Teil 2: Was ist aus Schweizer Sicht zu tun?

Meine WM-Bilanz im TV

Wer bewegte Bilder meinen „literarischen Ergüssen“ vorzieht dem sei folgender Link empfohlen:



Was ist aus Schweizer Sicht zu tun?

Wir sind gut und dürfen mit dem zufrieden sein was wir erreicht haben, Verbesserungen sind kaum möglich weil wir ein kleines Land mit beschränktem Spielerpotenzial sind? Sich ausruhen wie ich nach dem vierten Spiel am Auffahrtstag?



Weit gefehlt:
In den Medien wurden vor allem Personalien heftig diskutiert. Die richtigen Spieler? Die richtigen Coaches? Ich verstehe sehr wohl, dass es vor allem populär ist, über Personen zu diskutieren, Fehlleistungen und heroische Ereignisse an Personen festzumachen. Die Medien scheinen zu wissen, dass wir exakt solche Helden- und Versagergeschichten lesen und hören wollen. Es steht mir selbstverständlich nicht an, diese „Marktanalyse“ in Frage zu stellen. Die Medien leben von Leserzahlen und Einschaltquoten und werden sehr wohl wissen, wie sie ihre Kunden „abholen“ müssen. Ich habe auch grosses Verständnis hierfür denn es geht letztlich um das Ueberleben von Firmen, es geht um eine dramatische Veränderung in der Medienlandschaft ganz allgemein, es geht um den verzweifelten Kampf von gut ausgebildeten Journalisten, sich gegen neue Phänomene (wie z.B. Blogschreiber ;-) behaupten zu können, d.h. es geht auch um Arbeitsplätze und um würdige Arbeitsbedingungen.

Der Sache hingegen dienen solche Helden/Idioten-Geschichten kaum. Mein Ziel ist es, an dieser Stelle unaufgeregt und sachlich darzustellen, was es braucht, um unser Eishockey noch besser zu machen.

Bleiben wir ganz kurz bei den Personalien: Ja, ich hätte im Detail auch andere Spieler rekrutiert, ich hätte bei der Nominierung etwas mehr Gewicht auf Skills gelegt und beim Spiel gegen die USA hätte ich ganz leicht Genoni bevorzugt, er wäre bei mir im Tor gestanden. Aber... all diese hypothetischen personellen „Verbesserungen“ sind ziemlich unbedeutend. Erstens weil niemand weiss, ob wir damit tatsächlich besser gespielt hätten und zweitens, falls ja, wäre der Unterschied aus meiner Sicht nur sehr gering gewesen. Zudem hat Berra gegen die USA sehr gut gespielt. Kommen wir zum viel diskutierten Coach. Hanlon hat mit der Viertelfinalqualifikation mehr erreicht als wir in den letzten 8 Jahren im Durchschnitt erreicht haben, nämlich die Viertelfinalqualifikation. Es wäre verfehlt zu sagen, dass Hanlon der bessere Coach ist als es Krüger, Simpson waren, aber dieses Resultat ist ein erstes grosses Indiz für die unpopuläre These: Es spielt keine so grosse Rolle wer an der Bande steht, die Resultate sind immer ungefähr gleich. Unter Krüger und Simpson haben wir gegen Deutschland/Lettland immer in Tor armen Spielen mit einem Tor Differenz gewonnen, Unentschieden gespielt oder verloren. Die Spiele ähneln sich immer, egal wer Headcoach ist. Auch mit Arno DelCurto hätten wir vermutlich kaum mehr oder weniger Punkte als jetzt mit Hanlon. Ich glaube, dass diese These vor allem für Nationalmannschaften eine gewisse Berechtigung hat. Ich bin demnach weit davon entfernt, den Kopf von Hanlon zu fordern. Er hat ein gutes Resultat abgeliefert und auch aus Spielerkreisen höre ich kaum Negatives. Gleichzeitig stelle ich aber in Frage, ob wir einen Fulltime-Nationalcoach benötigen. Ich persönlich würde für diese WM-Turniere jeweils einen Vereinscoach temporär einstellen, so wie dies viele grosse Nationen regelmässig tun. Das eingesparte Geld sollte in die Nachwuchsausbildung investiert werden denn es muss unser ultimatives Ziel sein, künftig noch bessere Spieler auszubilden. Noch bessere Spieler: Dies hat die grösste Hebelwirkung für den Fortschritt. Personalrochaden im aktuellen Spielerkader und/oder an der Bande sind vergleichsweise unbedeutend.

Bei der Ausbildung von jungen Spielern gibt es vor allem technische Aspekte zu beachten, aber auch mentale und kulturell bedingte.

Technisch gesehen müssen wir im läuferischen Bereich weitere Fortschritte erzielen. Powerskating ist angesagt, die Stabilität auf den Schlittschuhen und das Entwickeln von Schubkraft, die Skating-Dynamik muss noch verbessert werden. Speed und Mobilität sind schon sehr gut, aber dies sind nicht die einzigen Aspekte eines guten Skaters im Eishockey. Das grösste Defizit orte ich in der Schussqualität. Diese Schwäche ist offensichtlich und zieht sich durch alle Nationalmannschaftsstufen hindurch. Ebenfalls nicht Weltklasse sind wir im Bereich Hand-Skills, Scheibenkontrolle, Puckmanagement, Körpertäuschungen und „Moves“. Das sich Durchsetzen im „Slot“, dorthin gehen wo es weh tut, „ugly“ Goals erzielen. Dies ist leichter gesagt als getan und auch dies hat sehr viel mit Handskills und Schussqualität zu tun einerseits und Stabilität auf den Schlittschuhen andererseits. Es ist ja nicht so, dass unsere Stürmer Feiglinge sind und dem Schmerz mehr aus dem Weg gehen als Stürmer anderer Nationen – wenn dies so wäre, dann wäre dies unglaublich bedenklich und nie und nimmer akzeptierbar – Tatsache ist, damit man in vorteilhafte Positionen im Slot kommt und „ugly“ Goals provozieren kann benötigt man sehr viel Geschick, Skills und ja, auch Wasserverdrängung und Spannweite, vor allem aber Geschick, Skills und schnelle Hände. Bitter ist die Erkenntnis, dass all diese Aspekte nicht durch das Drücken auf den roten Knopf schnell verbessert werden können. Ein langer steiniger Weg steht unseren Ausbildnern und Kindern bevor. Es wird Jahre dauern bis wir diese Defizite markant reduzieren können. Und in diesen langen Jahren sind monotone Drills angesagt, langweilige Trainings, immer wieder dasselbe und dann noch einmal und noch einmal und schneller und noch einmal. Trotzdem rate ich allen Ausbildnern das Augenmerk vor allem auf diese Aspekte zu legen. Den Kindern und vor allem den Eltern sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass man nur Weltklasse wird wenn man unglaublich viel trainiert und zwar mit vielen sich immer wiederholenden Uebungen, langweilige Uebungen, Drills mit Schmerzen und Tränen. Wenn man dies als Eltern und als Kind akzeptiert und sich dennoch immer aufs Training freut: Dann haben sie ein Indiz dafür, dass das Kind Talent haben könnte.

Im mentalen und im sozialen Bereich fällt mir immer mal wieder auf, wie stark wir den Teamgedanken hochhalten, vermutlich etwas zu stark. Ein Spieler der mit Alleingängen auffällt und meistens versucht, das Tor selbst zu erzielen wird (zu) oft gemassregelt. Alle unsere Spieler werden offensichtlich in Medientrainings stromlinienförmig geschult, so dass jeder immer sagt „das Team ist wichtig, es ist unbedeutend ob ich zwei oder drei Tore erzielt habe“. Immer dieselben Antworten. Gibt es etwas Langweiligeres als eine Pressekonferenz? Wir neigen in unserer CH-Mentalität manchmal zu sehr dazu, Verantwortung abzuschieben. Auf dem Eishockeyfeld schaut das dann so aus, dass man bei einer Torchance nochmals dem Mitspieler zupasst. Wir sind ja ein Team und keine Egoisten.


Unpopuläre Meinung:
Manchmal wünsche ich mir Spieler – wie z.B. Nino Niederreiter bei den Minnesota Wild – der wenn er die Scheibe hat, ultimativ den Torschuss sucht. Ich wünsche mir manchmal auch Spieler die im Interview ehrlich sagen: Ja, wir haben zwar verloren und das ist enttäuschend, aber es ist „geil“, dass ich zwei Tore und einen Assist erzielt habe. Dies hilft mir sicher bei den nächsten Vertragsverhandlungen. Ein klein wenig mehr Egoismus ist vor allem bei Stürmern angesagt. Wir dürfen nicht vergessen, dass Weltklasseperformer – egal in welcher Disziplin – im Persönlichkeitsprofil einen überdurchschnittlich hohen Wert im Bereich Egoismus aufweisen. Ergo: Egoismus nicht nur verteufeln sondern bis zu einem gewissen Grad sogar fördern oder wenigstens akzeptieren, Opportunismus respektieren. Denken wir daran: Wir müssen mehr Tore erzielen!

Ich wiederhole mich: Kommentare, Lob, Kritik, Fragen. Ich liebe das und werde mich bemühen, alle Fragen zu beantworten.

Ich freue mich auf spannende Dialoge!

Thomas Roost / 16. Mai 2015


2 comments:

  1. Hallo Thomas. 1. Interessanter Gedanke mit dem temporären Nationaltrainer. Meinst du, das könnte in der CH tatsächlich funktionieren? Gäbe es da nicht die Gefahr von "Vetterliwirtschaft"? Ich habe das Gefühl, dass der Leistungsgedanke in NA um einiges höher ist als hierzulande. 2. Ich mag Spieler wie Damien Brunner, die sagen was sie denken und keine Angst davor haben, anzuecken. Aber ich glaube nicht, dass man von Interviewaussagen auf den Grad des Egoismus im Spiel schliessen kann. Sonst gäbe es in der NHL ja nur Teamplayer, die Floskeldichte ist da ja auf jeden Fall höher als in der CH ;) Ich denke, es liegt auch an unserer Kultur/unseren Werten. Es ist doch so, dass schon Eltern bei Juniorenspielen die Nase rümpfen, wenn einer 5 Tore schiesst und selten einen Pass spielt. Wie könnte man deiner Meinung nach Egoismus fördern? MfG Adrian

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  2. Hallo Adrian. Vielen Dank für Deine interessanten Fragen/Inputs. Hmmm, Vetterliwirtschaft gibt es überall und wenn ich denke, dass der jetzige Headcoach beim gleichen Agenten unter Vertrag ist wie viele Spieler dann gibt es hier auch Ansatzpunkte für "Vetterliwirtschat". Allerdings sehe ich hier nur ein marginales Problem wie dann eben auch bei einem Vereinscoach der auch Nationalcoach ist.
    Wie fördert man gesunden Egoismus? Keine einfache Frage und daher nur langfädige, komplizierte Antworten: Es ist tatsächlich eine Frage unserer Kultur und den entsprechenden Werten die ich persönlich auf das tägliche Leben übertragen ja auch gut finde. Im Spitzensport sind aber mitunter hinderlich. Als Coaches vielleicht erkennen und akzeptieren, dass es verschiedene Spielertypen gibt mit unterschiedlichsten Profilen. Die Coaches müssen die Gleichmacherei bekämpfen, den Schmetterling fliegen lassen, das Pferd soll rennen und der Fisch soll schwimmen. Nicht alle zum gleichmässigen Traben erziehen. Bunte Vögel auch mal bunte Vögel sein lassen, Scorer für ihre Tore loben und nicht nur für ihre aufopfernden Laufwege im Spiel ohne Scheibe. Von talentierten Spielern auch mal risikoreiche Aktionen fordern die dann halt zu top oder flop führen. Den Neid bekämpfen und eine Kultur aufbauen in der in einem Team (z.B. NHL ein Spieler 800' verdient und ein anderer 10 Mio - obwohl sie beide dasselbe tun, Eishockey spielen in derselben Mannschaft) Stolz und nicht Neid herrscht wenn ein anderer mehr verdient. Der 800' ist stolz, dass er mit dem 10 Mio-Star in derselben Mannschaft spielen kann. Stolz und nicht Neid. Es ist ein Gratwanderung. Uebersteigerter Egoismus ist voll negativ, unerträglich und schädlich. Aber dasselbe gilt für übersteigerte Gleichmacherei, übersteigerte Teamfähigkeit. Schwierig bei uns weil wie gesagt, die meisten von uns sind anders erzogen worden.

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