Saturday, March 3, 2012

Statistikwüste Eishockeyschweiz


Ich sitze hier in der Schweiz und verfolge unsere heimischen Ligen live vor Ort mit unzähligen Spielbesuchen... und doch weiss ich viel mehr über die NHL- als über die Schweizer Spieler. Wer hat die besten Werte im Bullykreis? Wer die meisten Puckeroberungen und Puckverluste? Wer blockt am meisten Schüsse und wer am wenigsten. Wie viele Minuten Eiszeit bei Gleichstand benötigt ein Spieler im Durchschnitt um einen Scorerpunkt zu erzielen und wie viele Minuten benötigt er im Durchschnitt im Powerplay? Wie viele Scheibenkontakte hat ein Spieler im Durchschnitt pro 10 Minuten Eiszeit? Wer checkt am meisten und wer am wenigsten? Welche Spieler haben im Durchschnitt die meiste und welche die wenigste Eiszeit? Wer blockt am meisten Schüsse und welche Spieler stehen in der Sparte zuoberst wenn es darum geht, Gegentore zu verhindern. Aus welchen Positionen und mit welcher Art von Schüssen sind welche Spieler erfolgreich und welche Goalies verwundbar?

Wenn man sich für die NHL interessiert muss man sich die Urteile über Spieler nicht nur aus den Fingern saugen und/oder von Journalisten aufschwatzen lassen denn es finden sich in verschiedenen Publikationen Antworten auf exakt die vorerwähnten Fragen. Jeder kann sachlich über die Vorzüge und Nachteile von Spielern diskutieren, Polemik ist viel schwieriger zu platzieren weil sie leicht durchschaut und somit entkräftet werden kann. Nicht so bei uns. Unsere Urteile über Spieler basieren auf der nur zu ca. 90% korrekten Torschützenstatistik, der vielleicht zu 70% korrekten Assiststatistik und der Rest ist dunkle Nacht und nur rein subjektiv beurteilbar. Eine grosse Portion unseres „Hockeywissens“ ist nicht mehr als lächerlicher Humbug. Für viele Beobachter ist dies sehr ärgerlich weil sie glauben, sehr viel dieses Humbugs erahnen zu können, letztlich fehlen aber die statistischen Grundlagen um unseren Eishockey-Jahrmarkt von stimmungsmachenden Gauklern und Bauernfängern nachweislich zu entlarven.

Fehlende Statistiken sind auch ein Nährboden für exzellente Scouts die ja so viel mehr sehen und wissen als „normale“ Eishockeykonsumenten... könnte man meinen. Das Gegenteil ist der Fall: Viele Scouts überschätzen ihre Beobachtungsfähigkeiten und unterschätzen die Aussagekraft von detaillierten, professionell nachgeführten Statistiken. Intelligent aufgebaute Statistiken mit genügend Zahlenmaterial als Fundament führen zu 80% zu einer korrekten Spielerbeurteilung, die subjektive Beurteilung rundet das Bild mit lediglich ca. 20% ab. In diesem Zusammenhang empfehle ich das Buch „Moneyball“ von Michael Lewis. Es geht zwar in diesem Buch um Baseball aber mindestens indirekt ist es auch fürs Eishockey ein Fundus erster Güte.
 
Wir sind leider weltweit das einzige Eishockeyland mit einer Statistik- und Analysewüste. Nicht nur die NHL sondern auch die Minor- und Juniorenligen wie auch andere europäische Ligen sind uns diesbezüglich um Lichtjahre voraus. Vordergründig ist dies unbedeutend und aus der Vogelperspektive bleibt dies auch so; ob wir Spieler und Entscheidungsträger im Eishockey sachlich korrekt beurteilen ist für die Menschheit ziemlich unerheblich…

Nicht unerheblich ist es, wenn wir die Hockeyschweiz weiter professionalisieren wollen. Wir müssen dazu stehen: Wir wissen nichts über unsere Spieler, das Urteil aufgrund von simplen – und oft falschen – Zahlen zu Toren und Assists ist derart einfältig, dass in Diskussionen die wahren Experten von Warmluftproduzenten kaum unterschieden werden können. Kein Zufall darum, dass in der Schweizer Hockeyszene vor allem Verkäufer ihrer selbst als Helden portiert werden, was ich ihnen zwar gönnen mag aber nicht dazu führt, dass unser Hockey besser wird.

Wir lassen uns zu stark von teils skurrilen Meinungsmachern und vom Mob an der Nase herum führen wenn es darum geht, die Helden und die Deppen in unserer Liga zu bestimmen. Mit detailliertem statistischen Material können wir Diskussionen über unser Eishockey versachlichen und somit voranbringen. Hierzu gehört aber auch eine mentale Oeffnung. Nicht selten treffe ich auf eine Mauer des Schweigens und/oder offenes und latentes Misstrauen wenn ich versuche, nach verlässlichen Daten zu recherchieren. Welch ein mentaler Unterschied zur nordamerikanischen Hockeykultur in der von Detailstatistiken bis zu den Spielersalären alles offen gelegt wird. Vermutlich kommt uns dabei unsere Bunker- und Bankgeheimnismentalität in die Quere.

Ich möchte mit Fakten und echten Argumenten darüber diskutieren können wer denn die Besten sind im Schweizer Hockeyland und bin überzeugt, dass die Implementierung einer professionellen Statistikkultur im Schweizer Eishockey hervorragend investiertes Geld ist. Die vordergründig zusätzlichen Kosten werden durch die Vermeidung des einen oder anderen Fehltransfers mehr als kompensiert. Diese Einsicht muss reifen.

Stallikon, 3. März 2012 / Thomas Roost                                  

10 comments:

  1. Super guet gschriebä und das mit dä Fehltransfer chan i mehr sehr guet vorstellä !!!

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  2. Super Artikel! Messerscharf formuliert und auf den Punkt gebracht. Wer will, kann sogar zwischen den Zeilen noch einiges lesen ;-)

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  3. Was nützen uns Hockey-Konsumenten diese Statistiken? Auch das Niveau wird dadurch nicht gehoben. Also alles unnützer Kram

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  4. Absolut einverstanden mit diesem Artikel. Wir haben keine adäquate Daten um unsere Spieler objektiv beurteilen zu können. Vor allem Rollenspieler erhalten durch dieses Nichtvorhandensein von Statistiken viel zu wenig Anerkennung ihrer soliden Arbeit. Diese Statistiken dienen auch dem Hockeykonsumenten, da er damit das Spiel fachkundiger beurteilen kann und die Spielerbeurteilung auf Grund dessen Sympathiewertes endlich aufhört.

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  5. Immer wieder kommen die Kosten zur Sprache, niemand will hierfür Geld springen lassen.

    Meine pragmatische und vielleicht nicht ganz unrealistische Idee:
    Man sucht in jedem Clubumfeld 3-4 IT-affine und hockeystatistisch interessierte Typen (z.B. Studenten) die aus purer Lust und Freude professionelle Statistiken führen. Die Clubs zahlen ihnen als Gegenwert ein Saisonabo plus "Give Aways" plus Einladungen an Team-Veranstaltungen (Weihnachtsfeier, Golfturniere, Fondueessen und was es so alles gibt im Umkreis der Supporter und so). Wenn irgendein Club sich dann beklagt, dass dies zu teuer sei, dann kann man den Clubs nicht mehr helfen. Der Verband beteiligt sich, indem er beispielsweise für alle Statistiker ein ein- oder zweitägiges Seminar organisiert oder einen entsprechenden Lehrfilm produziert. Auch dies ist kostengünstig weil einmalig, evtl. alle 2-3 Jahre wiederholbar oder durch neu dazukommenden Statistiker selbst bezahlbar. Ich glaube für den Anfang wäre dies realistisch und nicht teuer. Die Statistiker dürften sich vorbehalten, ihr Material - das über das in den gängigen Medien publizierte hinausgeht) mit anderen Mannschaftsstatistikern zusammenzuschliessen und ihre schweizweiten Daten leserfreundlich aufzubereiten und an alle Interessierten (andere Clubs, Journis, Fans, Spieler etc.) zu verkaufen. Vielleicht ist dies ein gangbarer Weg.

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  6. ...tatsächlich sind die Statistiken der NLA unbrauchbar und dass das Management dieser Liga nicht einmal dazu fähig ist, korrekt Zahlen zu erfassn, sagt eigentlich alles über das Durchsetzungsvermögen dieser Operetten-Ligaführung gegenüber den Klubs. Allerdings wird die Bedeutung der Statistiken vor allem von den kritiklosen Verehrern der NHL masslos überschätzt: Die Quote der Fehltransfers (-Tauschs) ist in der NHL ein vielfaches höher als in der NHL und es kommt laufend zu geradezu grotesken Fehleinschätzungen im Draft und bei Vertragsabschlüssen. Merke: Die Statistik ist die Krücke, an der die Narren humpeln, die nicht fähig sind, die Mechanismen des Mannschaftsportes zu verstehen und deren Horizont beim Stadionparkplatz endet...

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  7. ...soll natürlich heissen: ist in der NHL ein vielfaches höher als in der NLA...wer weitere Verschreiber findet, darf sie behalten...

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  8. In der NLA müsste man erst an ganz anderen Orten ansetzen. Viele Vereine "glänzen" durch mangelhafte Führung, fehlende Visionen und Strategien und schlichtweg unqualifizierte Entscheidungsträger. Das grosse Problem ist, dass die Vereine in sich geschlossene Anstalten sind. Neue Ideen von aussen haben es schwer. Zudem gilt, wer nie selber Hockey gespielt hat, dem wird im Vorherein die Kompetenz abgesprochen.

    Zurück zur Statistik: Wer nicht einmal sein eigenes Spieler-Portefeuille kennt (dazu zähle ich auch eigenen Junioren), der muss sich nicht wundern, wenn er falsche Transfers tätigt. Wieviele Vereine nehmen sich Zeit um Juniorenspiele zu besuchen und die richtigen Spieler an sich zu binden?
    Welche Vereine führen Gespräche mit Spielern um deren Charaktermerkmale zu erfassen um eine Grundlage für eine Entscheidung zu haben, ob ein Spieler in eine Mannschaft passt? Zudem werden oft die falschen Spieler als die wichtigen Spieler betrachtet, da könnten Statistiken bestimmt helfen. Wenigstens einem, der sie zu lesen versteht, diese Kompetenz spreche ich hier vielen ab...

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  9. mit den statistiken hat er zu 100% recht & trotzdem hat er keine ahnung von eishockey und sucht nur das gerld! ;-)

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