Mit grosser Bewunderung nehme ich von der
Weltklasse-Trainingsinfrastruktur z.B. beim schwedischen Team HV71 Kenntnis.
Auf schweizerische Verhältnisse übertragen gilt dies z.B. für die ZSC-Lions. HV71
ist ein Vorzeigeclub in Schweden, die ZSC-Lions sind es in der Schweiz und aus
beiden „Küchen“ reifen immer wieder Eishockeytalente heran die später sehr gute
Profis werden. Sind solche Adressen der Nährboden für gute Eishockeyprofis und
gilt es darum für andere Clubs, diese Modelle zu kopieren?
Nur bedingt. Als Vorbemerkung aber dies: Ich habe grössten Respekt vor
den Geldgebern und Projektrealisatoren der erwähnten Vorzeigeausbildungsstätte
in Jönköping und der ebenso erfolgreichen wie aufwändigen ZSC-Lions-Pyramide.
Ich will aber in der Folge aufzeigen, dass auch mit weniger Mitteln Brutstätten
für Weltklasseperformer geschaffen werden können.
Eishockeynachwuchs aus Uzwil |
Zum besseren Verständnis will ich etwas weiter ausholen. Wenn man die
heutigen Juniorennationalkader betrachtet dann fällt auf, dass die Spieler
meistens in Grossclubs „zu Hause“ sind. Der Verdacht liegt darum für die Eltern
von talentierten Jungs nahe, dass man vor allem über den Weg zu Grossclubs ein
erfolgreicher Hockeyspieler wird. Dies ist ein Trugschluss. Es ist ja nur in
wenigen Fällen so, dass Juniorennationalspieler seit klein auf in den
Grossclubs ausgebildet werden. In der Regel läuft es so ab, dass die besten 13-
und 14-Jährigen des Landes proaktiv bei den Grossclubs anklopfen, um dort ihre Karriere
fortsetzen zu können. Den umgekehrten Weg gibt es ebenfalls, die Grossclubs
bemühen sich teilweise bereits um die besten 13- und 14-jährigen Schweizer
Talente. D.h. wenn sie zu den Grossclubs wechseln sind sie bereits herausragend
in ihrem Jahrgang, sie sind bereits die Besten in ihrer Altersstufe. Wenn sie
dann z.B. vier Jahre später zu den Top-U18-Auswahlspielern gehören dann ist dies nur bedingt der Verdienst der
Ausbildung in den Grossclubs sondern vielmehr gebührt es einer gewissen Logik,
dass die damals besten 14-Jährigen heute noch immer mehr oder weniger zu den
besten Talenten des Jahrgangs gehören. Ein beachtlicher Teil der
Ausbildungsverdienste gebührt den vielen leidenschaftlichen aber zu oft
namenlosen Ausbildnern aus den kleineren oder sogar Regionalclubs wie z.B.
Winterthur (Mirco Müller), Burgdorf (Gebrüder Berger), Chur (Niederreiter),
Uzwil (Fiala), Visp (Gebrüder Hischier), Langenthal (Bärtschi), Biel (Ehlers,
Malgin), Wallisellen/Dübendorf (Karrer). Diese Aufzählung erhebt nicht den
Anspruch auf Vollständigkeit und es gibt selbstverständlich auch das eine oder
andere Beispiel von Spielern die tatsächlich die gesamte Ausbildung im
Grossclub genossen haben (z.B. Roman Josi beim SCB). Der langen Worte kurzer
Sinn: Die Notwendigkeit für ein junges Eishockeytalent bereits sehr früh zu
einem Grossclub zu wechseln wird überschätzt. Nicht selten ist es so, dass
Top-Spieler in einem kleineren Club sehr viel mehr Eiszeit und Verantwortung
übertragen erhalten als wenn sie als Mitläufer zu einem Grossclub wechseln. Die
erstere Variante (viel Eiszeit und viel Verantwortung) ist für die
Talentförderung vorteilhafter. Ein pragmatischer Ansatz ist es vielleicht, sehr
junge Talente bereits bei Clubs mit hoher Trainingsquantität mittrainieren zu
lassen, während dem sie weiterhin in ihrem Basis-Regio-Club mitspielen und eine
Führungsrolle übernehmen.
Die Notwendigkeit, bereits sehr früh in eine Organisation mit perfekter
Infrastruktur zu wechseln wird ebenfalls überschätzt. Hierzu einige Anmerkungen
aus der Talentförderungsforschung. Im Buch „Die Talentlüge“ von Daniel Coyle
verweist er auf eine Untersuchung die zur Aufgabe hatte, bemerkenswerte Muster
von disziplinunabhängigen Talentschmieden zu entdecken. Das interessante,
vielleicht etwas unerwartete Resultat – und ich zitiere jetzt wörtlich aus dem
Buch: „Es waren fast durchwegs unscheinbare bis unattraktive Orte. Würde man
sämtliche der Trainings- und Unterrichtseinrichtungen dieser Talentschmieden
zusammentragen, dann wäre das Resultat eine Barackensiedlung. Viele Gebäude sind
improvisierte Wellblechhütten, die Farbe blättert ab, die Rasenflächen sind
kahl und ungepflegt. Viele der Talentschmieden wirkten so heruntergekommen,
dass es schon fast verdächtig vorkam wenn irgendwo eine gestutzte Hecke oder
ein Gebäude aus der Nachkriegszeit entdeckt wurde. Es wirkte fast so, als
bestünde ein direkter Zusammenhang zwischen dem Verfallsgrad der jeweiligen
Schule und der Anzahl der Talente, die sie hervorbrachte.“ Ein klassisches
Beispiel hierfür war das russische Frauentenniswunder im Jahr 2004 und
folgende. Nicht weniger als 13 russische Frauen erschienen wie aus dem Nichts
in den Top100 der Weltrangliste und fast alle durchliefen eine vordergründig unscheinbare
Tennisschule in der Nähe von Moskau. Konklusion: Luxus wirkt auf die Motivation
wie ein Betäubungsmittel, Talentschmieden sind in der Regel nicht luxuriös.
Russische Tennis-Academy |
Ebenfalls überschätzt werden kreative und abwechslungsreiche
Trainingsmethoden. Ich habe grossen Respekt vor Ausbildnern die mit viel
Kreativität ihre Trainings vorbereiten. Ebenso bewundernswert ist eine
schwedische Trainingsdokumentation mit 100 oder 1000 verschiedenen
Eishockeyübungen. Randbemerkung: Es spielt in der Argumentation keine Rolle ob
es 100 oder 1000 sind... Untersuchungen zeigen, dass die eher westlich
orientierte Trainingslehre bei den so genannten Hardskills Mängel aufweist; es wird etwas
zu viel Wert auf Spass gelegt und zu wenig mit Drills gearbeitet... und jetzt sind
wir wieder beim Eishockey. Eishockeytechnische Hardskills sind hockeytechnische
Basisübungen, Drills, wiederholbare Präzision wie ein Roboter. Hierfür benötigt
man vermutlich maximal 20 verschiedene Uebungen welche die wichtigsten
Bewegungsabläufe im Eishockey wiedergeben. Diese Uebungen gilt es zu
wiederholen, endlos, und immer wieder... immer wieder. Bei der Ausführung gilt
es exakt auf die Präzision und später auf die Präzision gepaart mit der
Geschwindigkeit zu achten. Diese Uebungen sind für die meisten Spieler
langweilig und monoton. Nicht aber für die Supertalente! Es ein sehr wichtiges
Talent wenn man sich auch auf die langweiligsten Drills immer und immer wieder
freut. Eher nicht talentfördernd sind Meinungen von Spielern die monotones
Training der Hard-Skills als lästiges Uebel betrachten und die Spieltage als
Höhepunkte avisieren. Diese Spieler werden vermutlich nie „high-end“
Fähigkeiten bei den Hard-Skills erreichen. Für Weltklassetalente ist trockenes
Ueben der immer wieder gleichen Basisskills keine mühsame Pflicht, sondern
Lust. Nicht das Spiel am Wochenende, nicht die Weltmeisterschaft ist die grosse
Freude, es ist das Training! Kommen wir zu den Softskills, eine traditionelle
Domäne der Nordamerikaner. Softskills im Eishockey sind das Erfassen und das
Erkennen von Mustern und die richtige Reaktion darauf. Softskills entwickelt
man durch Neugier, Experimentierfreude und auf der Suche nach neuen
Herausforderungen. Softskills entwickelt man auch durch das Analysieren und
Beobachten der Besten. Gute Künstler leihen aus, grosse Künstler kopieren,
klauen. Das Klauen von spezifischen Details von Spielern wie Gretzky oder
Crosby ist ein wesentliches Element bei der Entwicklung der Soft-Skills. Dabei
muss man bereit sein, sich zu blamieren. Man muss am Anfang bereit sein,
produktive Fehler zu machen, Risiken einzugehen und beim Kopieren der Besten
20’000 Mal (in Worten zwanzigtausend) auf den A.... zu fallen.
Frustrationstoleranz ist ein Zauberwort bei grossen Talenten. Widerstände
überwinden, sich durch Rückschläge nicht unterkriegen zu lassen. Grosse Talente
können nie genug davon bekommen, Eishockeyspiele anzuschauen, zu analysieren,
zu kopieren, zu lernen. Grosse Eishockeytalente sind ständig auf der Suche nach
neuen Herausforderungen.
Vorzeigeinfrastruktur bei HV71 Jönköping |
Ich fasse zusammen:
Nicht luxuriöse Trainingszentren und Grossclubs sind der typische
Nährboden für die Talententwicklung. Die Bereitschaft, die Hardskills mittels
Basis-Drills immer und immer wieder zu verinnerlichen sowie die Lust, die
Freude, die Leidenschaft, Eishockeygrössen zu analysieren, zu studieren, zu
kopieren; das sind optimale Voraussetzungen für die Talententwicklung.
Selbstverständlich gehören qualifizierte Ausbildner mit zum grossen
Erfolgspuzzle. Diese finden sich aber nicht nur bei den Grossclubs. Zudem:
Ausbildungsprogrammen bei denen den Talenten möglichst alles auf dem
Silbertablett serviert wird ist mit grosser Skepsis zu begegnen. Noch einmal:
Luxus wirkt auf die Talentförderung wie ein Betäubungsmittel!
Horgen, 10. Januar 2015
No comments:
Post a Comment