Betr. eines
detaillierten Teamberichts besteht offensichtlich das grösste Interesse an den
Toronto Maple Leafs. Aus diesem Grund hier nun meine erste Teamanalyse. Die
Leafs! Here we go…
Toronto, eine
Hockeystadt schlechthin. Schon wenn man frühmorgens in der Schlange für
Game-Day-Tickets steht wird man schnell in Hockeyfachge-spräche involviert die
in unseren Breiten-graden glatt als hochkarätige Expertentalks durchgehen
würden; in dieser Stadt riecht es förmlich an allen Ecken und Enden nach
Hockey, grossartig!
Die Toronto Maple Leafs: Steinreich, megawertvoll mit einer
urbanen und hockeyweltumspannenden Ausstrahlung. Zudem sind sie gegen direkte
Konkurrenz aus der unmittelbaren Umgebung geschützt. Die Leafs sind aber auch
eine einzigartige Leidensgeschichte: Schon fast chronisch erfolglos. Bei eben
diesen Leafs ist in den letzten ca. 18 Monaten kein Stein auf dem anderen
geblieben: Altehrwürdige Namen wurden aus dem Air Canada Center vertrieben. Mit
der Verpflichtung von Kyle Dubas in die Teppichetage wurde eine komplett neue
Aera eingeläutet, so meinte ich wenigstens. Brendan Shanahan
wurde Präsident, Mike Babcock neuer Headcoach und die Devils-Legende Lou
Lamoriello überraschender GM. Zudem wurde ein Grossteil des Scoutings-Staffs
ausgewechselt. Eine extrem brisante Mischung unterschiedlichster
Hockeyphilosophien: Von Kyle Dubas, dem hoch talentierten Analytiker, einem
„Moneyball-Guy“
Kyle Dubas |
bis hin zum „OldSchoolHockey" verkörpernden Lamoriello.
Theoretisch eine hochkarätige Mischung für Erfolg. Aber aufgepasst, dies ist
Theorie. Hochkarätig und Erfolg versprechend ist diese Mischung nur dann, wenn
sich diese sich in ihren Ansichten sehr oft widersprechenden Hockeygurus
gegenseitig gleichberechtigt respektieren und bereit sind, voneinander zu lernen. Meine
langjährige Beobachtungserfahrung im Sport wie auch in der Wirtschaft zeigt
aber, dass dies in der Praxis nur sehr selten funktioniert. Zu oft setzt sich
die hierarchische Zeptermacht gegen die Andersdenkenden durch, was Frustrationen
zurücklässt. Diese gipfeln dann (zu) oft in getrennten Wegen. Ich
bin auf jeden Fall unglaublich gespannt, wie die Maple
Leafs-Entscheidungsträger mit den unterschiedlichen Ansätzen und Philosophien
innerhalb der Franchise umgehen werden und können. Wenn sie es schaffen, all
diese unterschiedliche Hockeypotenz zu einer differenzierten und fein
abgestimmten Kompetenzrezeptur auszubalancieren, dann liegen 19 „Gault
Millaut-Maple-Leafs-Punkte“ drin. Ich bin allerdings skeptisch; die
Wahrscheinlichkeit, dass dieses Experiment scheitert beurteile ich als deutlich
höher.
Kommen wir zur Vergangenheit und zur Gegenwart. Die Maple Leafs
2014/2015 waren eines der schwächsten Possession-Teams der gesamten NHL. Auch
in fast allen anderen „Advanced Stats-Kategorien“ lagen die Leafs auf den
hintersten Plätzen, ein einziges Desaster das nicht wirklich auf bessere Zeiten
hoffen lässt. Der Starstürmer Phil Kessel wurde für einige nicht eben
prominente Spieler getradet. Die Leafs stehen am Nullpunkt. Beim Draft
habe ich eine markante Philosophieänderung festgestellt: Es wird jetzt deutlich
mehr Wert auf Skills und Speed gelegt als in der Vergangenheit. Die schlechten
Werte bei den Advanced Stats werden ernst genommen und bereits bei den
Testspielen für die neue Saison zeigte dies Wirkung: In den Testspielen zeigen
die Leafs-Werte sehr deutlich verbesserte "Possession-Figures". Ist dies bereits
ein Indiz für eine verbesserte Performance in der neuen Saison? Man darf diese
Testspielwerte nicht überbewerten aber eine leichte Steigerung gegenüber der
letzten Saison erwarte ich schon. Trotzdem: Das Teamroster lässt nicht darauf
hoffen, dass die Leafs in der neuen Saison sehr viel besser abschneiden werden
als 14/15. Zudem haben sie sich dazu entschieden, ihre talentiertesten Spieler
(Marner, Nylander, Brown) eine weitere Saison in der Junioren- resp. im
Farmteam zu modellieren. Was bleibt sind neben Kadri und Reilly nicht eben
„high quality individuals“; auch ein Trade des Defender-Stars Dion Phaneuf
würde mich nicht überraschen; er konnte die sehr hohen Erwartungen auch in Toronto bisher nie
erfüllen. Zurück zu Marner, Nylander und Brown: Dies sind mindestens teilweise
Talente die in den Testspielen regelmässig zu den besten Spielern gehört haben.
Irgendwie werde ich den Eindruck nicht ganz los, dass sich die Leafs-Ausgabe
15/16 so genanntem „Tanking“
verschrieben hat, d.h. man versucht für den nächsten Draft eine möglichst gute
Ausgangslage zu erhalten und tauscht ältere, erfahrene Spieler gegen junge
Talente und/oder Draftrechte. Vielleicht wollen sie die jungen und
hoffnungsvollen Nylander und Brown ganz einfach nicht verheizen in einer Saison
in der sie selbst nicht grosse Hoffnungen auf eine Playoff-Qualifikation hegen; sie wollen nicht, dass die vermeintlichen künftigen Franchise-Spieler mit dem Verlierer-Gen
infisziert werden und planen den Grossangriff „erst“ auf die Saison 16/17. Bei
vertiefter Analyse gibt die Leafs-Ausgabe 15/16 schlicht und einfach kaum zu
grosser Hoffnung Anlass: Die Torhütersituation ist nicht geklärt; es ist nicht
sicher ob einer aus dem Tandem Bernier/Reimer ein künftig solider Nr.1-Goalie
in der NHL sein kann. In der Defense ruhen die Zukunftshoffnungen auf Morgan
Reilly, er ist ein Versprechen und hat viel Offensiv-Potenzial. Vielleicht kann
man den oft unterschätzten Jake Gardiner auch noch positiv erwähnen aber dann
wird es schwierig. In der Leafs Defense gibt es neben den Genannten kaum
„High-End-Potential“, im besten Fall biedere Solidität. Bei den Forwards sieht
es „Franchise-mässig“ sehr viel besser aus, aber – wie gesagt – die Chefetage
hat entschieden, diejenigen Spieler mit dem höchsten Skill-Level vorerst in der
OHL und AHL zu parkieren. Da bleibt nicht mehr viel übrig. Phil Kessel wurde
zu den Pittsburgh Penguins transferiert und aus dem Free-Agent-Teich wurde Brad
Boyes zu erstaunlich günstigen Konditionen gefischt; dies ergibt immerhin
gewisses Tradepotenzial für den Februar; wie bereits erwähnt: „Tanking“ ist
angesagt.
Was kann man sich von Mike Babcock erhoffen? Ich glaube, dass seine
Verpflichtung durchaus Sinn macht, er ist ein überdurchschnittlich guter Head
Coach, allerdings ist er meiner Meinung nach klar überbezahlt; der Einfluss von
Head-Coaches auf den Erfolg darf nicht überbewertet werden. Zudem hat selbst
Babcock in den letzten Jahren in Detroit keine grossartigen Erfolge mehr feiern
können wenn man mal von der eindrücklichen Serie der regelmässigen
Playoffqualifikationen absieht und berücksichtigt, dass Erfolg in eben diesen
Playoffs zu einem grossen Teil vom Glück abhängt; darum, noch einmal: Ja, ich
glaube die Verpflichtung von Mike Babcock war durchaus ein guter „Move“ der
Leafs; er wird aber weniger bewirken als sich vermutlich viele erhoffen. Was
der Maple Leafs Franchise auch in der Ausgabe 2015/2016 fehlt ist ein
Nr.1-Center und dies ist absolut zwingend wenn man Erfolg haben will. Insgesamt
- und ich wiederhole mich – glaube ich
für die neue Saison an kleine Verbesserungen im Gesamtranking, nicht aber an
eine Playoff-Qualifikation. Der Grossangriff der Toronto Maple Leafs findet
erst in der Saison 2016/2017 statt.
Thomas Roost /
Horgen, 7. Oktober 2015
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