Wednesday, October 7, 2015

Toronto Maple Leafs 2015/2016 - der Versuch einer Analyse

Betr. eines detaillierten Teamberichts besteht offensichtlich das grösste Interesse an den Toronto Maple Leafs. Aus diesem Grund hier nun meine erste Teamanalyse. Die Leafs! Here we go…


Toronto, eine Hockeystadt schlechthin. Schon wenn man frühmorgens in der Schlange für Game-Day-Tickets steht wird man schnell in Hockeyfachge-spräche involviert die in unseren Breiten-graden glatt als hochkarätige Expertentalks durchgehen würden; in dieser Stadt riecht es förmlich an allen Ecken und Enden nach Hockey, grossartig! 

Die Toronto Maple Leafs: Steinreich, megawertvoll mit einer urbanen und hockeyweltumspannenden Ausstrahlung. Zudem sind sie gegen direkte Konkurrenz aus der unmittelbaren Umgebung geschützt. Die Leafs sind aber auch eine einzigartige Leidensgeschichte: Schon fast chronisch erfolglos. Bei eben diesen Leafs ist in den letzten ca. 18 Monaten kein Stein auf dem anderen geblieben: Altehrwürdige Namen wurden aus dem Air Canada Center vertrieben. Mit der Verpflichtung von Kyle Dubas in die Teppichetage wurde eine komplett neue Aera eingeläutet, so meinte ich wenigstens. Brendan Shanahan wurde Präsident, Mike Babcock neuer Headcoach und die Devils-Legende Lou Lamoriello überraschender GM. Zudem wurde ein Grossteil des Scoutings-Staffs ausgewechselt. Eine extrem brisante Mischung unterschiedlichster Hockeyphilosophien: Von Kyle Dubas, dem hoch talentierten Analytiker, einem „Moneyball-Guy“ 
Kyle Dubas

bis hin zum „OldSchoolHockey" verkörpernden Lamoriello. Theoretisch eine hochkarätige Mischung für Erfolg. Aber aufgepasst, dies ist Theorie. Hochkarätig und Erfolg versprechend ist diese Mischung nur dann, wenn sich diese sich in ihren Ansichten sehr oft widersprechenden Hockeygurus gegenseitig gleichberechtigt respektieren und bereit sind, voneinander zu lernen. Meine langjährige Beobachtungserfahrung im Sport wie auch in der Wirtschaft zeigt aber, dass dies in der Praxis nur sehr selten funktioniert. Zu oft setzt sich die hierarchische Zeptermacht gegen die Andersdenkenden durch, was Frustrationen zurücklässt. Diese gipfeln dann (zu) oft in getrennten Wegen. Ich bin auf jeden Fall unglaublich gespannt, wie die Maple Leafs-Entscheidungsträger mit den unterschiedlichen Ansätzen und Philosophien innerhalb der Franchise umgehen werden und können. Wenn sie es schaffen, all diese unterschiedliche Hockeypotenz zu einer differenzierten und fein abgestimmten Kompetenzrezeptur auszubalancieren, dann liegen 19 „Gault Millaut-Maple-Leafs-Punkte“ drin. Ich bin allerdings skeptisch; die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Experiment scheitert beurteile ich als deutlich höher. 

Kommen wir zur Vergangenheit und zur Gegenwart. Die Maple Leafs 2014/2015 waren eines der schwächsten Possession-Teams der gesamten NHL. Auch in fast allen anderen „Advanced Stats-Kategorien“ lagen die Leafs auf den hintersten Plätzen, ein einziges Desaster das nicht wirklich auf bessere Zeiten hoffen lässt. Der Starstürmer Phil Kessel wurde für einige nicht eben prominente Spieler getradet. Die Leafs stehen am Nullpunkt. Beim Draft habe ich eine markante Philosophieänderung festgestellt: Es wird jetzt deutlich mehr Wert auf Skills und Speed gelegt als in der Vergangenheit. Die schlechten Werte bei den Advanced Stats werden ernst genommen und bereits bei den Testspielen für die neue Saison zeigte dies Wirkung: In den Testspielen zeigen die Leafs-Werte sehr deutlich verbesserte "Possession-Figures". Ist dies bereits ein Indiz für eine verbesserte Performance in der neuen Saison? Man darf diese Testspielwerte nicht überbewerten aber eine leichte Steigerung gegenüber der letzten Saison erwarte ich schon. Trotzdem: Das Teamroster lässt nicht darauf hoffen, dass die Leafs in der neuen Saison sehr viel besser abschneiden werden als 14/15. Zudem haben sie sich dazu entschieden, ihre talentiertesten Spieler (Marner, Nylander, Brown) eine weitere Saison in der Junioren- resp. im Farmteam zu modellieren. Was bleibt sind neben Kadri und Reilly nicht eben „high quality individuals“; auch ein Trade des Defender-Stars Dion Phaneuf würde mich nicht überraschen; er konnte die sehr hohen Erwartungen auch in Toronto bisher nie erfüllen. Zurück zu Marner, Nylander und Brown: Dies sind mindestens teilweise Talente die in den Testspielen regelmässig zu den besten Spielern gehört haben. Irgendwie werde ich den Eindruck nicht ganz los, dass sich die Leafs-Ausgabe 15/16  so genanntem „Tanking“ verschrieben hat, d.h. man versucht für den nächsten Draft eine möglichst gute Ausgangslage zu erhalten und tauscht ältere, erfahrene Spieler gegen junge Talente und/oder Draftrechte. Vielleicht wollen sie die jungen und hoffnungsvollen Nylander und Brown ganz einfach nicht verheizen in einer Saison in der sie selbst nicht grosse Hoffnungen auf eine Playoff-Qualifikation hegen; sie wollen nicht, dass die vermeintlichen künftigen Franchise-Spieler mit dem Verlierer-Gen infisziert werden und planen den Grossangriff „erst“ auf die Saison 16/17. Bei vertiefter Analyse gibt die Leafs-Ausgabe 15/16 schlicht und einfach kaum zu grosser Hoffnung Anlass: Die Torhütersituation ist nicht geklärt; es ist nicht sicher ob einer aus dem Tandem Bernier/Reimer ein künftig solider Nr.1-Goalie in der NHL sein kann. In der Defense ruhen die Zukunftshoffnungen auf Morgan Reilly, er ist ein Versprechen und hat viel Offensiv-Potenzial. Vielleicht kann man den oft unterschätzten Jake Gardiner auch noch positiv erwähnen aber dann wird es schwierig. In der Leafs Defense gibt es neben den Genannten kaum „High-End-Potential“, im besten Fall biedere Solidität. Bei den Forwards sieht es „Franchise-mässig“ sehr viel besser aus, aber – wie gesagt – die Chefetage hat entschieden, diejenigen Spieler mit dem höchsten Skill-Level vorerst in der OHL und AHL zu parkieren. Da bleibt nicht mehr viel übrig. Phil Kessel wurde zu den Pittsburgh Penguins transferiert und aus dem Free-Agent-Teich wurde Brad Boyes zu erstaunlich günstigen Konditionen gefischt; dies ergibt immerhin gewisses Tradepotenzial für den Februar; wie bereits erwähnt: „Tanking“ ist angesagt. 








Was kann man sich von Mike Babcock erhoffen? Ich glaube, dass seine Verpflichtung durchaus Sinn macht, er ist ein überdurchschnittlich guter Head Coach, allerdings ist er meiner Meinung nach klar überbezahlt; der Einfluss von Head-Coaches auf den Erfolg darf nicht überbewertet werden. Zudem hat selbst Babcock in den letzten Jahren in Detroit keine grossartigen Erfolge mehr feiern können wenn man mal von der eindrücklichen Serie der regelmässigen Playoffqualifikationen absieht und berücksichtigt, dass Erfolg in eben diesen Playoffs zu einem grossen Teil vom Glück abhängt; darum, noch einmal: Ja, ich glaube die Verpflichtung von Mike Babcock war durchaus ein guter „Move“ der Leafs; er wird aber weniger bewirken als sich vermutlich viele erhoffen. Was der Maple Leafs Franchise auch in der Ausgabe 2015/2016 fehlt ist ein Nr.1-Center und dies ist absolut zwingend wenn man Erfolg haben will. Insgesamt -  und ich wiederhole mich – glaube ich für die neue Saison an kleine Verbesserungen im Gesamtranking, nicht aber an eine Playoff-Qualifikation. Der Grossangriff der Toronto Maple Leafs findet erst in der Saison 2016/2017 statt.

Thomas Roost / Horgen, 7. Oktober 2015     

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